Lippen-Zusammenprall

■ Vokalistin Madalena Bernardes und Saxophonist Ned Rothenberg bei den »Freunden Guter Musik«

Musik am Sonntagnachmittag« nennt sich eine mittlerweile bewährte Konzert-Reihe der »Freunde Guter Musik«. In der zwölften Veranstaltung präsentierten sie diesmal im »Checkpoint«, im ehemaligen Ostteil der Stadt, die Brasilianerin Madalena Bernardes mit einer Solo-Vokalperformance und, ebenfalls als Solisten, den New Yorker Saxophonisten Ned Rothenberg.

Das ausverkaufte Konzert begann in dem kleinen, völlig in Schwarz gehaltenen Saal in absoluter Dunkelheit. Nach kurzer Irritation durch aufkommende Geräuschwelten, die die Frage stellen, ob es das Publikum ist, das da durch leises Zischen, Vogelstimmenimitate und anderes agiert, schält sich dann doch eine Stimme heraus — und das muß wohl Madalena Bernardes sein. Eine Weile noch dehnt sie die nächtlich wirkende Klangambience, bevor ihre ausgefeilte Lichtregie einsetzt. Da spaziert sie dann auf der Bühne hin und her und transformiert ständig Musikalisches in Gestik und diese wieder zurück in Klang. Das entbehrt auch nicht der Komik, wenn sie dasteht, mit weit geöffnetem Mund Unhörbares artikuliert und dabei nur ab und zu das Zusammenprallen ihrer Lippen perkussiv zum Klingen bringt. Zwischendurch klingt Arienhaftes an oder Leis-Fernes im Flageolet-Bereich, dann wieder Gehauchtes bis hin zu heftig rhythmischem Stöhnen, für das Erotik fast schon ein zu schwaches Wort ist. Schließlich ein paar schrille Töne, während derer sie im ständig an- und ausgeknipsten Spotscheinwerfer bis zum Bühnenrand frontal aufs Publikum zukommt — und die Sache ist vorbei. »Dhrassis« nennt sich das Ganze, was soviel bedeuten soll wie »drastisch« und das war's dann auch ein wenig, obwohl letzendlich die leichten und luftigen Gesten und Klänge bei weitem überwogen und wohl auch eher die Stärke Madalena Bernardes' sind. Spannend und rund war die Performance allemal, wenn ihr auch bisweilen die klare Linie fehlte.

Nach kleiner Pause dann Ned Rothenbergs neue Solostücke für Altsaxophon und Baßklarinette. Der New Yorker Downtown- Szene um John Zorn, Fred Frith und Elliot Sharp entstammend, bereitet er mittlerweile seine vierte Solo-LP vor. Erstaunlich, was er seinen Instrumenten zu entlocken versteht: Seine Zirkularatmung ist längst nicht mehr technisches Kinkerlitzchen, sondern stilprägend geworden; mit ihrer Hilfe erzeugt er auf seinem Saxophon eine Art Solo-minimal-music. Da baut er durch schnellste Repetitionsmuster in verschiedenen Registern Gegenstimmen auf; im höchsten Bereich surren die Töne bisweilen derartig, daß man meint, er habe die oberen Klappen seines Instruments mit asiatischen Flöten-Membranen präpariert. Es folgt ein Mehrklang- Stück für Baßklarinette, das eher lyrische Welten bevorzugt, aber ebenfalls wieder eine zirkulare Klangband-Technik verwendet. Als Rothenberg schließlich eine Monk-Hommage zum besten gibt, wird klar, daß bei ihm normale Atmung zum Sondergriff geworden ist, sei's um prägnante Phrasierungen zu setzen oder spezielle Effekte wie diverse Zungenschnalz-Anblastechnicken zu spielen. Dann ein stilles, einfaches Shakuhashi- Stück (eine japanische Bambusflöte) und ein weiteres Altsaxophon-Solo, bei dem sich wieder, wie beim ersten Stück, die Frage stellte, ob er sich nicht bei der exponierten Herausstellung der kleinen Terz in seinen flirrenden und ständig permutierenden Repetitionsmustern von dem Klingelzeichen der Ostberliner U-Bahn hat inspirieren lassen. Nach obligater Zugabe war der musikalische Sonntagnachmittag beendet. Marc Maier