GASTKOMMENTAR
: Den Geiseln eine Chance

■ Der nächste Banküberfall kommt bestimmt

Der Versuch eines beurlaubten Strafgefangenen, eine Bankfiliale in Lüdenscheid mit Geiselnahme räuberisch zu erpressen, verlief für den Täter tödlich. Der Täter ließ sich mit einem Fluchtauto aus der Deckung locken und wurde durch einen gezielten Todesschuß „unschädlich“ gemacht. Das Einsatzkonzept der Polizeistrategen ist aufgegangen. Hatten sie doch das Konzept nach der kürzlichen Freipressung mit Geiselnahme von Gefangenen aus dem Celler Gefängnis mit der Forderung, eine Lösung „an Ort und Stelle“ zu suchen, gegeißelt. Diese Strategen werden sich in den Führungsetagen der Polizei zufrieden in ihre Chefsessel zurücklehnen und zum Resultat kommen — der Todesschuß hat sich bewährt. Und die zahllosen „Fernsehkommissare“ können befriedigt ihre Bierflasche neben den Fernsehsessel stellen: haben es doch die „Rambos“ der Spezialkommandos der Polizei dem Verbrecher gezeigt.

Geht das von den Hardlinern in Politik und Polizei geforderte Konzept — die Todesschußlösung — auf? Lüdenscheid scheint ihnen nach Gladbeck und Celle recht zu geben. Der Rechtsstaat darf sich nicht erpressen lassen, ist ihre Devise. Aber paßt der Schutz der Geiseln als oberstes Ziel in ein solches Konzept? Der Ausgang des Gladbecker Einsatzes bewies bereits das Gegenteil: Als die Irrfahrt der Täter mit den Geiseln „endlich“ beendet werden sollte, koste es, was es wolle, war der Tod einer Geisel zu beklagen. Was war neu in Lüdenscheid? Daß die Polizei offenbar zielstrebig auf eine Lösung mit Todesschuß hinarbeitete. Die tatsächliche Gefährlichkeit des Täters und die damit verbundene Gefährdung der Geiseln scheint kaum noch eine Rolle gespielt zu haben. Wurde die Ernsthaftigkeit der Drohungen mit den tatsächlichen Möglichkeiten des Täters (Bewaffnung) in Relation gesetzt? Haben Einsatzkonzepte, die dies einbeziehen, in Zukunft noch eine Chance? Haben Täter noch eine Chance? Nach Lüdenscheid sind Zweifel angebracht. Aber wer den Tätern keine Chance läßt, der gibt auch den Geiseln keine Chance.

Der Täter von Lüdenscheid war dumm genug, sich von der Polizei aus der „Deckung“ locken zu lassen. Zukünftige Täter werden wissen, daß sie keine Chance haben, solange sie für Todesschützen eine Zielscheibe sind. Damit werden die Chancen für Geiseln immer geringer, von solchen Geiselnehmern geschont zu werden. Der Brutalität der Täter, die sich mittels der Geiseln gegen die Polizei richtet, sind keine Grenzen gesetzt und macht die Geiseln zu doppelten Opfern, die auch von der Polizei nicht mehr zu schützen sind. Insofern sind Konzepte, die auf den Todesschuß setzen, Wege in weitere Gewalt. Die Lüdenscheider Geiseln konnten gerettet werden, weil der Täter dumm genug war und keine Chance hatte. Hoffentlich haben zukünftige Geiseln eine Chance vor Tätern, die meinen, daß ihnen die Polizei um jeden Preis keine Chance läßt. Die Geiseln von morgen aber dürfen nicht die Opfer von Lüdenscheid werden. Manfred Such

Der Autor ist Kriminalhauptkommissar, Kritischer Polizist und Ex-MdB der Grünen