Der Sechszylinder oder das Ozonloch?

Die neuen Bundesbürger zwischen Konsum und ökologischem Gewissen/ Berliner Tagung über Umweltbewußtsein und Umweltsanierung in Ostdeutschland/ Die alte Umweltbewegung ist passé  ■ Aus Berlin Manfred Kriener

Die Umweltsanierer, schlug der Brodowiner Künstler Reimar Gilsenbach vor, sollten zuerst ihre eigenen Gehirne sanieren lassen, damit sie sich nicht nur an ökonomischen Machbarkeiten berauschen. Der Westberliner Politologe Elmar Altvater konstatierte ebenfalls enttäuscht, daß von einer ökologischen Transformation im Osten sowenig zu erkennen sei wie im Westen und die Umweltsanierung in den neuen Bundesländern lediglich darin bestehe, „die Wunderwerke der ökologischen Technik“ auf die ehemalige DDR zu übertragen. Und der Ostberliner Ökonom Günter Streibel, der gleichfalls weit und breit keine ökologische Wende ausmachen konnte, ließ seinen Vortrag gar in Visionen über das absehbare Ende des Planeten münden: „Die Welt wird als vollkapitalistische Welt untergehen!“ Frustration überall; düstere Aussichten?

„Umweltsanierung und Umweltbewußtsein in den neuen Ländern“ hieß das Thema einer Tagung am Wochenende in Ost-Berlin. Das Publikumsinteresse war dürftig, trotzdem erfuhr man manches Neue. Zum Beispiel über das Umweltbewußtsein im Osten: Der Ostberliner Soziologe Ulrich Kausmann hatte im alten Material seines Instituts gewühlt und neben viel Schrott wenigstens eine halbwegs brauchbare Untersuchung über das Umweltbewußtsein im SED-Staat gefunden. Vor drei Jahren (1988) hatte man ein paar hundert DDR-Bürger gefragt, welche Werte ihnen besonders wichtig erscheinen: Familie, Freizeit, Konsum, Arbeit, Wohnung, Gesundheit usw.? Bei dieser Studie stand die Umwelt als höchstes Gut auf Platz 1 vor Gesundheit, der Konsum landete abgeschlagen auf Platz 9.

In diesem Jahr wurde die Befragung wiederholt. Erster Platz für die Sicherheit, vor Arbeit und Umwelt, Konsum auf Platz vier. Was sagen uns solche Untersuchungen? Eigentlich nichts, weil zwischen abstrakter Wertigkeit und wirklichem Handeln kein direkter Zusammenhang besteht, wie Kausmann hinzufügte. Dann hätten die neuen Bundesbürger aber zumindest theoretisch ein ausgeprägtes Umweltbewußtsein. Und die Praxis?

Fast von allen Rednern wurde beklagt, daß im neuen Konsumrausch die Umwelt auf der Strecke bleibe, die Weichen seien ganz „auf Nachholung des individualisierten westlichen Wohlstandsmodells“ (Altvater) gestellt. Ein Teilnehmer sprach am Samstag morgen sogar von einer „fast naturgesetzlichen Abfolge“: Eine ökologisch bewußte Gesellschaft sei erst denkbar, wenn die „ungeheuren Sehnsüchte“ nach westlichem Wohlstand befriedigt worden sind. Mit anderen Worten: Die Ossis müssen sich mit Video, Golf GTI und Beate Uhse erst mal richtig austoben.

Günter Streibel, Ökonom an der Humboldt-Universität, sah zwar viele ökologische Defekte durch die Schließung von maroden Betrieben abgebaut, gleichzeitig werde diese positive Entwicklung durch hemmungsloses Wachstum in anderen Bereichen aber kompensiert. Sein Sündenregister in Stichworten: acht Millionen Kraftfahrzeuge im Osten, mehr als hundert Anträge auf Golfplätze allein im Umfeld Berlins, das Ende des Recyclingsystems Sero und ein unverändert blühender Müllhandel, Fünf-Sterne-Hotels in Naturschutzreservaten, Zwischenlager- Pläne für Greifswald. Wenn die Ostdeutschen nur das verbrauchen würden, was ihnen an Ressourcen und Energie auf diesem Erdball wirklich zustehe, müßten sie auf neun Zehntel ihres Konsums verzichten. Aber solche Forderungen seien im Moment völlig illusionär, und deshalb bestehe auch kein Ausweg, resignierte Streibel. Konsumverzicht sei das falsche Wort, das vergrätze die Leute, wurde ihm bedeutet, zu fordern sei statt dessen ein Wertewandel, eine Verschiebung zum Ideellen.

Jetzt wurde es originell: Der Mensch sei bekanntlich ein Primat, und in jeder Affenhorde werde genau das getan, was der Leitaffe vormacht. Und wenn der einen Sechs- Meter-Mercedes fährt, dann wollen das auch die anderen, argumentierte der Umweltrechtler Hans-Peter Jährig. Mithin sei der Druck auf „den Leitaffen“ notwendig. Aber wer bitte ist der Leitaffe? Der Kanzlerdarsteller in Bonn, Thomas Gottschalk oder Fritz Beckenbauer? Ein Verelendungstheoretiker hielt die ganze Diskussion für überflüssig, weil sich die Pobleme „ohnehin von selbst lösen“. Krause könne zehnspurige Autobahnen bauen, er werde den Stau nicht wegkriegen. Und mit dem Stau werde das Problem Auto beseitigt. Schön wär's.

In den zwei Tagen an der Humboldt-Uni wurde deutlich, wie sehr die Reste der Umweltbewegung-Ost in die Defensive geraten sind. Wenn im Bezirk Hohenschönhausen eine Versammlung zu Kitas angesetzt ist, kommen dreihundert Leute, in die Öko-Sprechstunde kommen zwei bis siebzehn, „die haben andere Sorgen“. Die Ostberliner Umweltbibliothek war einst eine legendäre Keimzelle des Widerstands, jetzt, wo sie legal arbeiten kann, ist kaum noch Interesse da. Die nach der Wende überall spürbare Euphorie der Umweltbewegung ist längst einer breiten Resignation gewichen, resümierte Öko-Forscher Hermann Behrens. In ganz Ostdeutschland seien gerade mal 8.000 Personen im Naturschutz organisiert, die „Umweltbewegung ist zerschlagen“.

Mit Forderungen nach Konsumverzicht wird man diese Bewegung allerdings kaum ankurbeln. Eine Initialzündung könnte sie vielleicht aus dem Westen erhalten. Elmar Altvater war es, der die Vorbildfunktion der alten Bundesrepublik bei der Transformation der ehemaligen DDR immer wieder in den Vordergrund rückte. Um so wichtiger, daß gerade der Westen den ökologischen Umbau der Gesellschaft vorantreibe. Doch davon keine Spur: die Umweltprobleme in den alten Bundesländern erscheinen zweitrangig, und im Vergleich zu Greifswald und Aue (Wismut) wirke Hanau fast wie eine Kurstadt. So blieb am Ende nichts als der lange Atem, die Empfehlung beharrlicher Agitation und Einflußnahme für die Umwelt. Vielleicht müssen sich die Ossis ja wirklich erst mal austoben. Die Frage ist nur wie lange?