Dieses Kreischen

■ Lenny Kravitz auf Tournee

Mit nur einer Frage war ich gekommen: ob es möglich ist, die sechziger Jahre wiederzubeleben, und sei es für nur einen Augenblick.

Aber der Gegenstand fragt nicht, was er gefragt wird. Zugluft auf den Rängen und — unten vor der Bühne — ein Masse junger Leute, die begeistert einem schwarzen Liedermacher mit nacktem Oberkörper zujubelt, harte schnelle Akkorde, freundliche, rohe Melodien. Das ist nicht Lenny Kravitz, sondern Keziah Jones. Und während sich die jungen Leute ihre Lungen und Geschlechter quetschen, wird Hendrix vom Band eingespielt, dann Bob Marley.

Dann ist er da, dünn und groß, die Rastalocken bis auf die Schultern, Lenny Kravitz, und der ganze Sound, das psychedelische Schlingern, der funkige Schlag, die aufgebrachte Gitarre, die durchdringt bis an das Innere der Schädeldecke. Er reißt die Leute mit, Leute mit hellen, teils sehr wachen Gesichtern, stolzen Matten oder scharfen Borsten überm Ohr. So mitgenommen ist die romantische Jugend, daß ich fast zu Tränen gerührt bin. Kein Witz. Das mit den Sechzigern wird fallengelassen. Dies ist ein Abend für Romantiker.

Es ist eine gänzlich männliche Band, mit drei Bläsern, einem (teils auch Lead-)Gitarristen neben Kravitz; Keyboard, Baß. Sie sind groß, wenn sie zugleich schwer-erdig spielen wie psychedelisch-säuselnd singen. Die langsamen Nummern sind besser als die schnellen, während derer die Ohnmächtigen aus dem vordersten Pulk gezerrt werden, von muskulösen Helfern. Ja, in den kurzen Pausen, in denen Kravitz mit den Leuten nicht spricht, hört man sogar wieder dieses unglaubliche hysterische Kreischen der Mädchen (wie etwa bei Aufnahmen der Beatles — Hollywood Bowl).

Die Songs, mit kombinierten Anleihen beim Soul, Funk, den Beatles, Cream vielleicht, einmal fast Blue- Note-Jazz, dann ehrgeiziger Gitarrenrock, sind schnell durchgespielt, keine Eskapaden; aber die selbst in einem eher bescheidenen Eineinhalb-Stunden-Set deutlich hörbare Routine wird scheinbar nicht bemerkt. Statt dessen wird Kravitz gefeiert, der für diese Synthese von allerlei Vergangenem steht, und der sie rauh, mit dem Anspruch der Authentizität, vertritt. Ein neuer Hendrix? Niemals — hier werden keine Alpträume öffentlich zelebriert und zum Verglühen gebracht. Das Manko dieser Musik: das solistische Pathos der Gitarrenhelden und die kollektive Akkuratesse der Bläser finden nicht zusammen. Schließlich besteigt Kravitz, zu einer etwas gedehnten Orgelimprovisation, die dünner besiedelten Seitenränge, um glückliche Hände zu schütteln: Let Love Rule. So gibt es plötzlich doch eine Antwort auf meine Frage: Die Musik von damals kommt zurück, im Gestus der Politik. Ulf Erdmann-Ziegler