Appell an UNO nach Ost-Timor-Massaker

■ Indonesische Soldaten eröffnen das Feuer auf einen Trauermarsch und töten Dutzende von Menschen/ Portugal fordert Eingreifen der UNO/ Folterberichterstatter der UNO gefährdet

Lissabon/Jakarta (taz/afp) — Ein Blutbad unter unbewaffneten Zivilisten haben indonesische Soldaten gestern früh in der Hauptstadt von Ost- Timor, Dili, angerichtet. Die Soldaten eröffneten das Feuer auf eine Prozession, die sich auf dem Weg zu einer Trauerfeier befand. Die indonesische Menschenrechtsorganisation „Tapol“ sprach von 60 Toten.

Der portugiesische Präsident Mario Soares hat daraufhin an UN-Generalsekretär Perez de Cuellar appelliert, dringend Maßnahmen zu ergreifen, um die „Spirale der Gewalt“ und die „Verletzung von Völkerrecht und UN-Resolutionen“ in dem von Indonesien besetzten Gebiet zu beenden.

Erste Meldungen über das Massaker erreichten Flüchtlinge aus Ost- Timor in Portugal telephonisch. Jose Ramos Horta, der Vertreter der Widerstandsbewegung Ost-Timors Fretilin im Ausland, erklärte, er sei gestern am frühen Morgen von einem Mitglied des timoresischen Widerstands aus Dili angerufen worden, das ungenannt bleiben wollte. „Wir werden massakriert, wir werden massakriert“, sagte der Mann. Die Trauerfeier galt zwei jungen Männern, dem 23jährigen Studenten Sebastiao Rangel und dem 29jährigen Alfonso Enriques, die von indonesischen Soldaten bei Unruhen am 28. Oktober erschossen worden waren. Der Augenzeuge sagte, er habe gesehen, wie „Dutzende“ von Menschen unter dem Kugelhagel niederfielen.

Ein anderer Flüchtling, Loriko Loro Sa'e, erklärte, er habe in der Nacht zuvor einen Anruf von einem Freund aus Ost-Timor erhalten, der gesagt habe, Hunderte von Menschen seien zum Santa-Cruz-Friedhof marschiert, um an der Totenmesse teilzunehmen, als die Soldaten sie auf dem Friedhof umzingelt hätten und das Feuer eröffnet hätten. Sein Freund glaubte, „mehr als 20 Personen“ seien dabei umgekommen, viele andere verwundet.

Die Regierung in Jakarta bestätigte, daß es zu einem Zwischenfall in Dili gekommen sei, für den aufständische Elemente verantwortlich seien. Ein Armeesprecher teilte mit, die Lage in Dili sei „unter Kontrolle“, „mehrere Aufständische“ seien getötet oder verletzt worden. Die Armee habe das Feuer auf einen „gewalttätigen Mob“ eröffnet, nachdem die Menge der Aufforderung, sich zu zerstreuen, nicht gefolgt sei und die Soldaten angegriffen habe.

Die Spannungen in der ehemaligen portugiesischen Kolonie hatten sich in den letzten Wochen verstärkt, als die Regierung in Lissabon die Reise einer portugiesischen Parlamentarier-Delegation, die unter der Ägide der UNO am 3. November in Ost-Timor hätte eintreffen sollen, abgesagt hatte. Grund: die indonesische Regierung hatte Einspruch gegen die Teilnahme der Autorin dieses Artikels als einer von sechs journalistischen BegleiterInnen der Delegation erhoben. Der indonesische Außenminister Ali Alatas hatte erklärt, ich „propagiere die Unabhängigkeitsbewegung Fretilin“ und berichte in „unausgewogener Art und Weise“ über Indonesien. Portugal besteht darauf, daß der Besuch wie geplant vonstatten gehen soll und fordert Indonesien weiterhin auf, das Verbot aufzuheben.

Ost-Timor ist eine ehemalige portugiesische Kolonie etwa 1.000 Kilometer nördlich von Australien. 1976 wurde sie von Indonesien annektiert, was allerdings weder von Portugal noch von den Vereinten Nationen je anerkannt worden ist. Vielmehr sieht die UNO die Insel östlich von Bali noch immer unter treuhänderischer Regierung Portugals. Der seit der Annektion tobende Krieg zwischen der Befreiungsbewegung Fretilin und der indonesischen Armee hat seit 1976 nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen rund 210.000 Tote gefordert — knapp ein Drittel der damals 610.000 Einwohner.

Nach der erneuten Eskalation der Gewalt besteht Grund zur Sorge über die Sicherheit des UNO-Berichterstatters über Folter, Peter Kookmans, der am 10. November in Dili eingetroffen war, um Berichte über die Anwendung von Folter gegen Ost-Timoresen zu untersuchen. Das Hotel, in dem er sich aufhielt, war gestern morgen Ziel einer Demonstration gewesen, bei der ein indonesischer Offizier verletzt worden sein soll. Jill Jolliffe