Kurz vor der Psychose

■ Ambulante psychosoziale Versorgung leidet unter Geldnot/ Gleichzeitig werden Psychiatriebetten abgebaut

Berlin. Die große Koalition gerät in Gefahr, einen gesundheitspolitischen »Strukturfehler« zu begehen. Davor warnten gestern VertreterInnen Freier Träger, die sich in Berlin mittels Beratungsstellen, Krisenambulanzen und therapeutischen Wohngemeinschaften um die ambulante psychosoziale Versorgung der Berliner Bevölkerung kümmern. Zwar wolle der Senat zu Recht bis zu 3.000 Psychiatriebetten abbauen, denn Berlin leistet sich derzeit dreimal soviel Psychiatriebetten wie Hamburg. Gleichzeitig aber soll die ambulante Versorgung nicht im gewohnten Maße aufrechterhalten oder gar gestärkt werden.

Kontakt- und Beratungsstellen sowie Krisenambulanzen sind heute ein wesentlicher Bestandteil der gemeindenahen Versorgung. Sie helfen Menschen, die durch Arbeits- oder Partnerverlust in schwere Lebenskrisen geraten, unter starken Depressionen leiden oder »einfach durchdrehen«, wie Annette Herder von der Krisenambulanz Wedding es formuliert. Etwa jeder fünfte nehme im Laufe seines Lebens dieses Angebot in Anspruch. Doch mit dem bisherigen Etat von rund 19 Millionen Mark für alle Zuwendungsträger könne dieses Angebot nicht aufrechterhalten werden, erklärte Patricia Di Tolla vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Aufgrund vorhersehbarer Miet- und Lohnerhöhungen seien allein 2,5 Millionen Mark zusätzlich nötig, um den bisherigen Standard zu halten. Weitere 2,5 Millionen seien erforderlich, um derartige Einrichtungen auch in Ost-Berlin zu installieren.

Um die Einrichtungen weiterführen zu können, fordern die Freien Träger deshalb eine Aufstockung der Zuwendungen um fünf Millionen Mark. Zudem könnte von den rund 300 Millionen Mark, die durch den Abbau der Psychiatriebetten eingespart würden, ein Teil für den ambulanten Bereich abgezweigt werden. Zuwendungen in Höhe von 24 Millionen Mark hätten auch die Gesundheitsverwaltungen gefordert, erklärte gestern deren Sprecherin Gabi Lukas. Der Senat dagegen habe nur 18,5 Millionen bewilligt. Die Abgeordneten im Hauptausschuß sollen nun am Freitag über die endgültige Finanzierung der ambulanten psychosozialen Versorgung beraten. maz