Wenn Präsident Jelzin die Zukunft der deutschen Republik unterschreibt

Beim Jelzin-Besuch in Bonn soll kommende Woche eine Grundsatzentscheidung zur Einrichtung einer deutschen Republik an der Wolga verabschiedet werden/Bonner Angst vor Aussiedlern  ■ Von Anita Kugler

Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen, Staatssekretär Horst Waffenschmidt, hat seine Hausaufgaben gemacht. Am Rande des Kongresses der Rußlanddeutschen vom 18. bis 20. Oktober in Moskau verhandelte er mit Präsident Jelzin, daß dieser bei seinem bevorstehenden Besuch in Bonn am 21./22. November seine Unterschrift unter eine verbindliche Grundsatzerklärung zur Errichtung einer deutschen Republik an der Wolga setzt.

Darüber hinaus soll ein Rahmenabkommen über eine Zusammenarbeit zwischen Bonn und Moskau bei der Wiederherstellung der Staatlichkeit der Rußlanddeutschen vereinbart werden. Die Unterschriften bedeuten noch nicht, daß die Wolgarepublik übermorgen existiert, denn von einem Zeitplan ist bis jetzt noch nicht die Rede. Aber die Unterschriften wären Meilensteine auf dem Weg zu einer staatlichen Autonomie. Zusammen mit dem Gesetz „über die Rehabilitierung der repressierten Völker“ vom 26. April 1991, wären Jelzins Unterschriften die ersten Beweise, daß es Rußland ernst ist mit der Korrektur von vergangenem Unrecht.

Die Bundesregierung ist an einer etappenweisen Errichtung der Wolgarepublik höchst interessiert, bietet sie doch eine Chance, daß der Aussiedlerstrom aus der Sowjetunion zumindestens stagniert. Darüber hinaus würde eine staatliche Autonomie, selbst im Rahmen der Union, der deutschen Diskussion über eine Einschränkung des Artikel116 GG die Schärfe nehmen. Die Überzeugung, daß Aussiedler auch der zweiten und dritten Generation Deutsche sind, selbst wenn sie kein Wort deutsch sprechen, kostete Bund, Länder und Gemeinden im Jahre 1990 glatte 4,5 Milliarden Mark. Von den insgesamt knapp 300.000 Aussiedlern, die im vergangenen Jahr voll alimentiert wurden, kamen über 147.000 direkt aus der Sowjetunion. Bis einschließlich September 1991 erhielten weitere 113.376 aus Rußland oder Kasachstan den begehrten Sichtvermerk beim Bundesverwaltungsamt in Köln.

Wenn das Tauziehen um die Wolgarepublik in Rußland nicht bald beendet und der Artikel116 GG auf Druck der Opposition gleichzeitig verändert wird, so wird im Bundesinnenministerium befürchtet, dann geht diese Aussiedlerwelle nämlich erst richtig los. 220.000 Rußlanddeutsche haben bereits die administrative Aufnahmegenehmigung der Bundesregierung in der Tasche, theoretisch könnten sie morgen ihre Zugfahrkarten von Alma Ata, Ufa oder Moskau nach Recklinghausen, Darmstadt oder Berlin bestellen. Weitere zwei Millionen Rußlanddeutsche könnten das Warten auf bessere Zeiten auch bald satt haben, seit dem Sommer reichen jeden Monat 11.000 Menschen ihre Aussiedlungsanträge beim deutschen Konsulat in Moskau ein.

Die Zeit drängt also. Die „Hilfe zum Aufbau der Wolgarepublik“ wird die Bundesregierung Geld kosten, allerdings sehr viel weniger als die Eingliederungskosten in den alten und neuen Bundesländern. 100 Millionen Mark sind aus dem Bundeshaushalt 1992 bereits bewilligt worden, für weitere 50 Millionen Mark sollen in diesem Winter Lebensmittel und Konsumgüter an die Wolga geliefert und dort gegen Rubel verkauft werden. Der Erlös wird einem Fond für den Aufbau von deutschen Dörfern gutgeschrieben. Die Hilfsmaßnahmen, betont Waffenschmidt, sollen „selbstverständlich“ allen dort lebenden Menschen zugute kommen. Also auch den 1, 6 Millionen Russen die in diesem Gebiet, etwas größer als das Saarland, leben.

Rußlanddeutsche gibt es dort nur noch wenige: um 30.000. Bevor Stalin 1941 die Wolgadeutschen aus ihrer „Autonomen Sozialistischen Republik“ in die Arbeitslager am nördlichen Polarkreis und nach Sibirien vertrieb, lebten längs der Wolga fünfzehn mal mehr.

So viele Deutsche, auch wenn hunderte von Millionen Mark in die Gebiete gepumpt werden sollten, werden an der Wolga nie mehr leben. Der Widerstand der einheimischen Russen gegen eine massenhafte Ansiedlung ist viel zu groß, und auf den Rücksiedlerwillen der in der Sowjetunion versprengten Deutschen ist ebenfalls kein Verlaß. Auf jeden Fall soll aber ab dem nächsten Jahr, so steht es in Waffenschmidts Arbeitspapier, die Kopfzahl durch gezielte Ansiedlungsmaßnahmen kontinuierlich ansteigen. Mit den Geldern aus Bonn, so sieht es das Rahmenabkommen vor, werden bestehende Siedlungen ausgebaut, mittelständische Betriebe, landwirtschaftliche Einrichtungen sowie Schulen, ein Krankenhaus und ein deutsches Kulturzentrum in Saratow aufgebaut. Waffenschmidt ist obendrein zuversichtlich, daß deutsche Unternehmen sich an der Wolga engagieren werden, sobald das Gesetz über den Kauf von Grund und Boden durch ausländische Investoren erlassen ist.

Der verantwortliche Koordinator für all diese Projekte steht schon fest. Es ist der russische Minderheitenminister Leonid Prokopjew. Mit ihm verhandelt Waffenschmidt schon seit Monaten, und auf dem Kongreß der Rußlanddeutschen hat er bereits versprochen, alsbald eine deutsche „Minderheiten-Nebenverwaltung“ in Saratow einzurichten. Den Kontakt zu den geldgebenden deutschen Behörden, den Unternehmern und den Kirchen sollen obendrein Verbindungsbüros des „Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA)“ in Saratow, Samara und Wolgograd halten.

Diese deutschen Hilfen zur Selbsthilfe in Rußland sind aber nur einige Bausteine, um die Deutschstämmigen in der weiten Sowjetunion zu halten. Es geht noch um viel mehr. Am 4.Juli 1991 genehmigte die russische Regierung einen ersten nationalen Rayon (Landkreis) mit Selbstverwaltungsrechten für die Deutschen im Altai-Gebiet, wenig später einen in Omsk. Auch hier handelt es sich um Rayons, die, bis Stalin sie 1938 auflösen ließ, deutsch und autonom verwaltet waren. In Halbstadt, Westsibirien, werden bereits mit Bonner Hilfe für die dort lebenden 19.000 Deutschen eine Ziegelei, eine Brauerei und eine Käserei modernisiert, eine Nudelfabrik und Sonnenblumenpresserei bald aufgebaut und eine Rundfunkstation eingerichtet werden. Insgesamt plant die Bundesregierung sich mit weiteren 100 Millionen Mark an 70 Schwerpunkten finanziell zu engagieren. Bereits abgesprochen wurde mit den zuständigen Behörden in Ufa, einer Millionenstadt westlich des Ural, die Förderung eines Modellvorhabens. Für die Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion sollen Deutsche aus Kasachstan und den anderen asiatischen Republiken angeworben werden. Und in Omsk, das steht ebenfalls schon fest, soll ein evangelisches Kirchenzentrum gefördert werden. Und zu hoffen bleibt, daß den Kirchendienern dort gelingt, was hier nicht klappen will: nämlich die Schäfchen hübsch beisammenzuhalten, auf daß so wenige wie möglich ausreißen.