: Das Lied des Fliegenpilzes
■ Konzert mit „Pflanzenmusik“ im KITO / Ausstellung zu „Kunst und Natur“
Bart-Mann
mit
Trompete
Heinz Erich Gödecke, Pflanzenmusiker
Braaaaaaaaaaouoaaaaaaaaaaouoaa...: So singt der Fliegenpilz. Buiuuuiuuiuuui...: das Farnkraut. Wer's nicht glaubt, finde sich am Sonntag um 11 Uhr im KITO in Vegesack ein. Man wird dort etwas ganz und gar Erstaunliches erleben: ein Konzert für Farn, Zitronenbaum, Zierpalme, Posaune, Klangsteine, Gong und Didjeridoo.
Heinz Erich Gödecke ist der Mann, der die Musik macht. Und der die Pflanzen zu Wort kommen läßt. Vielleicht sollte man betonen, daß Gödecke (Jg.'44) kein Spinner ist. Er ist zunächst knochentrockener Ingenieur bei DESY in Hamburg, wo auf hohem technischen Niveau Elektronen beschleunigt werden. Er ist aber auch als Maler in Erscheinung getreten, und seit zehn Jahren ist er Musiker.
Jazzer, Neue E-Musik (Cage, Ligeti), Fernöstliches. Vor einigen Jahren fiel ihm das Buch in die Hände, dessetwegen viele Menschen neuerdings mit ihren Blumen sprechen: Peter Tompkins / Christopher Bird: Das geheime Leben der Pflanzen. Darin wird von amerikanischen Versuchen mit Lügendetektoren an Pflanzen erzählt. Von rätselhaften Instrumenten-Ausschlägen wird dort berichtet, ein geheimes Seelenleben der Pflanzen suggeriert.
Der Eletrotechniker begann zu basteln, mit empfindlichsten Meßinstrumenten und Verstärkern, klemmte Elektroden an verschiedene Pflanzen, schloß auch Tongeneratoren und Lautsprecher an und siehe da: eine jede macht ihre eigene Musik. Und nicht etwa immer die gleiche! Kam ein Freund zur Tür herein, piepste es aufgeregt Huiuiui vom Farn her. Hauchte Gödecke den Pilz an, antwortete das sonst musikalisch eher träge Gewächs mit Munterkeit. Heinz Gödecke spaltete sich auf: Der Wissenschaftler startete ganze Serien von Versuchen, weil die Phänomene eigentlich gar nicht sein durften. Der Musiker dagegen nutzte seine Entdeckungen und begann, mit den Pflanzen Musik zu machen.
Musik setzt Gödecke in Gänsefüße: ihn interessieren Geräusche, Obertöne, Klänge. Gern tritt er in Kirchen auf, in einem „sakralen“ Umfeld. Seine Musik ist geeignet, die Welt vergessen zu lassen. Mal setzt er die Pflanzenklänge als „ruhigen Teppich“ ein; dann wieder versucht er — als geübter Improvisator — „Dialoge“. Wenn es „zu langweilig“ wird, pustet er seine Blumen an. Eigentümlichste Klang-Wirkungen erzielt er mit seinem „Didjeridoo“, einer knapp mannshohen Holzröhre aus Eukalyptusholz, die die Aborigines Australiens benutzen. Die Höhlung sollen Termiten ausgefressen haben. Mit den Lippen wird hineingeblasen, dicke Backen erzeugen suggestivste Obertöne.
Man kann sich denken, daß Gödeckes Konzerte von New Age Jüngern frequentiert werden. „Habt ihr gehört: Die Pflanze hat gesprochen!“ schwärmen sie. Und werden von Gödecke enttäuscht. Der Wissenschaftler hat längst seine Hypothesen: Elektronen liegen auf den Blättern, ihre Bewegungen lassen minimale Ströme fließen; Luftverwirbelung (Durchzug, Pusten) bringt sie erst recht in Bewegung; und schneidet man der Beseelten ein Blatt ab, regt sich gar nichts. „Für Geheimnisse“, sagt er, „bin ich zu sachlich.“ Und kann doch nicht erklären, warum eine Pflanze nach dem Anblasen noch minutenlang „unruhig“ ist; oder warum seine musikalischen Blumen immer geerdet sein müssen: auf Plexiglas läuft nichts. Wo der Techniker noch grübelt, freut sich der Künstler über das „aleatorische Moment“, die Zufallsgeräusche, die seine Pflanzenmusik einzigartig machen.
Das Konzert „Spuren“ wird zur Eröffnung einer Ausstellung aufgeführt, die zugleich im KITO und in der Ökologiestation Bremen läuft. Werner Henkel, „künstlerischer Mitarbeiter“ der Ökologiestation (so einen gibt's tatsächlich!), zeigt Ergebnisse seiner Tätigkeit unter dem Titel „Naturarte“. Wo sich Kunst und Natur berühren oder überschneiden, da sucht Henkel seinen Weg. Zwei Beispiele: Aus den Fraßgängen von Mottenmaden in Brombeerblättern gewinnt er Formen, nach denen er kalligrafische Zeichnungen fertigt. Oder: Aus der Formensprache von Ästchen verschiedener Bäume entwickelt er eine „Schrift“ für „Brieffreundschaften mit Bäumen“. In der Ausstellung sind viele der Versuche Henkels dokumentiert, aus der Natur Zeichen und Strukturen für eine ganz eigenständige Kunst zu gewinnen. „Work in progress“: noch Natur? Schon Kunst?
Burkhard Straßmann
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