Wer mich nicht will, hat mich scheinbar schon

■ Von Max Bachstein

Wenn der Tresen zehn Zentimeter höher gewesen wäre, Schröder wäre mit seiner Fresse auf die Platte geknallt. Schon berührten einige seiner Naturlocken die glatte Oberfläche. Langsam, aber unaufhaltsam gab er der Schwerkraft nach.

Vor ihm stand das Gesöff, das in Farbe und Geruch an ein Lösungsmittel erinnerte. Halbvoll oder halbleer, wie auch immer. Es schien also wieder mal eine Stunde nach Mitternacht zu sein. Doch kurz vor der Vereinigung von Schröders Stirnplatte mit der schlierigen, schwarzen, glänzenden Oberseite der Theke, aus der grell ein langer weißer Lichtfaden herausspiegelte, ging eine langsame Bewegung durch Schröders Körper, besser durch dessen Oberteil, oder vielmehr, sein Hals drehte sich und brachte so unweigerlich den Kopf in einem Halbkreis nach oben, wobei sein Kinn fast über dem linken Schulterblatt zum Stehen kam. Verquollenen Auges glotzte Schröder auf ein paar Tische, die in sein Blickfeld kamen. Er sah die Tische und fühlte sich zu Hause. Das beruhigte. Laut entwich Luft aus seinem Oberteil, wobei er etwas zusammensackte.

Doch so richtig wußte er nicht, wo er war. Aber da war direkt in Blickrichtung ein Pullover, rot und grün gemustert, oder blaurot und gelb, oder purpurblau und orange, egal, jedenfalls ein bunter Pullover und gefüllt, stark gefüllt, genau an der richtigen Stelle.

Wieder ging ein Ruck durch seinen Körper. Er starrte auf die stark gewölbte Stelle. Schröder liebte bunte, stark gefüllte, an der richtigen Stelle gewölbte Pullover. Und blond war sie, blond, ganz sicher, denn was über die Wölbung hing, waren lange blonde Haare.

In Schröder stieg ein Begehren auf, das sich insofern äußerte, daß er nun seinen ganzen Körper in Richtung der Dame drehte, wobei er sich mit der rechten Hand vom Tresen abdrückte. Und nun er genau dem bunten Pullover mit den blonden Haaren gegenüber. Seine Hacken hingen im unteren Teil des Barhockers. Die Hände unter den Sitz gekrallt, die Arme nach hinten angewinkelt, den Kopf senkrecht auf dem gebogenen Rücken. Ein Nachtvogel, aber kein Raubtier.

So hockte Schröder regungslos da, und starrte in Richtung seiner Begierde. Sein Verlangen wurde nun so stark, daß sein Hirn unweigerlich zu denken ansetzte.

Falls er die Dame tatsächlich in seinen erotischen Bannkreis ziehen wollte, mußte er sofort mit dem Umwerben beginnen. Und dies war nur möglich, wenn er sich der Blonden näherte, womöglich an ihren Tisch setzte. Nur mußte dies flott und männlich geschehen, um letzendlich nicht die erotische Wirkung zu verfehlen.

Daß sein Zustand nicht gerade dazu angetan war, eine erfolgreiche Werbung zu starten, wußte er aus früheren ähnlichen, nicht gerade geglückten Aktionen. Die Erinnerungen daran schossen ihm schmerzlich durch sein entzündetes Gehirn.

»Ich bin überhaupt nicht besoffen!«, gab er quasi als Motto zum Handeln aus.

Die Hände immer noch unter den Hocker gekrallt, rutschte er langsam fast gelöst herunter. Als die Füße den Boden berührten, krümmten sich die Zehen im Stiefel, als wollten sie sich an den Boden klammern.

Der Weg zum Tisch war nicht weit, höchstens ein paar Lichtjahre. Langsam bewegte er sich und rollte dabei jeden Schritt ab. Fersen, Ballen, Zehen, Fersen, Ballen, Zehen, die Knie leicht geknickt, Becken rechts, links und wiegen, immer wiegen. Die Arme leicht pendeln, links, rechts. Augen gerade. Manchmal wie zufällig am Ohrringlein zupfen. Vielleicht mal mit den Fingern schnippen, leise, ganz leise.

Die Lider etwas zusammen, damit die Augäpfel vor Anstrengung nicht aus den Höhlen traten. Der hintere Teil des Hemdes war wie ins Wasser geworfen.

Die gekrümmten Zehen begannen zu schmerzen, und der Krampf zog mit jeder Bewegung von den Waden aus höher. Und Fersen, Ballen, Zehen und wiegen. Der Krampf saß schon im Gesäß und wollte gerade den Rücken erobern, da stieß seine nasse Hand an eine Stuhllehne. Vorsichtig zog er den Stuhl an sich und senkte sich ab. Die Sitzfläche kam viel zu langsam, doch zack, dann saß er. Geschafft!!! Die Hand unters Kinn und den Kopf gedreht.

»Nein, auch heute nicht!« Ihre Stimme schnitt sein Gehirn in zwei Teile. Gaby!!!

Schon der zehnte Korb von ihr. Ach was, der fünfzehnte. Einmal wäre genug gewesen, hatte sie damals gesagt. Danach gab's immer diesen Ärger.

Benommen stand er auf, und da war ihm noch dieses Scheiß Bein eingeschlafen.