Obdachlose zeigen, was möglich ist

■ »1. Berliner Wohnungslosen-Offensive« stachelt Sozialverwaltung an/ Jetzt wurde ein Winterquartier gefunden

Berlin. Wer in Berlin keine Wohnung hat, kann sich nachts in der Regel allenfalls unter dem Dach einer Läusepension betten. Für die rund 7.500 offiziell gemeldeten Obdachlosen wurden bislang lediglich vorübergehende Notunterkünfte oder Pensionen eingerichtet. Jetzt aber ist der »1. Berliner Wohnungslosen-Offensive«, einem Zusammenschluß aus rund 80 obdachlosen Männern und Frauen, etwas einmaliges gelungen: Sie können heute ihr Winterquartier in einem Gebäude in der Lichtenberger Rhinstraße beziehen.

Gestern gab die Oberfinanzdirektion als Eigentümerin ihr Okay. Die Miete des Hauses wird nun von der Sozialverwaltung bezahlt, die Trägerschaft übernimmt das Diakonische Werk. Aber es waren die Obdachlosen selbst, die dafür den entscheidenden Anstoß gaben. Am 5.November besetzten sie am Ostberliner Hegelplatz mehrere Baucontainer, die bereits seit Monaten leerstanden. Die Misere der Obdachlosen ist bekannt, also schien eine Räumung der Container weder den Parteien noch der Sozialverwaltung opportun zu sein. Doch die Baudirektion als Besitzerin der Container und der Bezirk mochten nicht so richtig mitspielen. Der Hegelplatz soll schließlich begrünt und die Container noch vor dem Winter abgerissen werden. Dann stellte sich plötzlich heraus, daß die Bauten aus hochgradig brennbarem Material bestehen und im Ernstfall toxische Gase freisetzen würden.

Als die Eigentümerin der Gebäude dann auch noch mit Räumung drohte, entwickelte die Sozialverwaltung plötzlich eine ungeahnte Betriebsamkeit. VertreterInnen der Behörde zogen gemeinsam mit den Obdachlosen durch die Stadt, um eine andere Bleibe zu finden. Schon innerhalb einer Woche hatten sie Erfolg. Auch wenn der Mietvertrag befristet ist, haben rund 80 Obdachlose bis zum 30. April 1992 eine Bleibe.

Eine durchaus erfolgreiche Aktion. Nur — warum war so etwas nicht schon eher möglich? »Eigentlich ist so etwas Aufgabe der Bezirke«, rechtfertigt sich Sozialstaatssekretär Armin Tschoepe. »Wir haben jetzt gezeigt, was möglich ist, wenn man wirklich will.« Mit dem Ziel, der Geschäftemacherei mit Läusepensionen ein Ende zu bereiten, werde sich die Sozialverwaltung auch künftig nach weiteren Objekten umsehen und versuchen, zumindest Zwischennutzungen zu ermöglichen. Für die »Wohnungslosen-Offensive«, so Tschoepe, werde die Sozialverwaltung versuchen, »etwas Dauerhaftes« zu finden.

Die VertreterInnen der Sozialverwaltung haben offensichtlich erkannt, was an konkreter Unterkunftsbeschaffung tatsächlich möglich ist. Gezeigt haben es ihnen die Obdachlosen. Martina Habersetzer