„Jetzt fliegen wir mit und ohne Quote“

Erste deutsch-deutsche IGM-Frauenkonferenz/ Gemeinsamkeit betont/ Differenzen über Nachtarbeit  ■ Aus Essen Bettina Markmeyer

„Wer ist für die Quote?“ fragte die West-Journalistin Gisela Marx und rückte damit die Unterschiede zwischen Ost- und West-Gewerkschafterinnen für einen Moment in scharfes Licht. Verständnisloses Kopfschütteln bei den Delegierten aus dem einzigen, rein östlichen IG-Metall-Bezirk Dresden: „Haben wir nie gebraucht!“ rief eine Chemnitzerin, „und jetzt fliegen wir mit oder ohne Quote.“ Ihre Nachbarin empfand Quotierung nach 40 Jahren DDR als „neues Reglementierungsinstrument“. Die unterschiedlichen Erfahrungen hüben und drüben ließen die Frauenforscherinnen Ute Gerhard aus Frankfurt und Uta Meier, früher Ostberlin, heute München, noch einmal Revue passieren. Gudrun Hamcher, geschäftsführendes Vorstandsmitglied und zuständig für die IGM- Frauenpolitik, betonte zur Eröffnung der Konferenz die Gemeinsamkeiten: Und die liegen in den zukünftigen Auseinandersetzungen.

350 Delegierte, ein Drittel mehr als auf der letzten IGM-Frauenkonferenz, füllen noch bis heute die Essener Grugahalle. Sie vertreten mit 768.000 Mitgliedern fast doppelt so viele Frauen in der IGM wie vor drei Jahren in Frankfurt.

Die West-Frauen haben viel gekämpft und wenig erreicht, die Ost- Frauen haben das kampflos Erreichte nicht verteidigen können. Aus diesem Fazit kristallisierten sich in gedämpft harmonischer Atmosphäre deutlich drei Schwerpunkte heraus: das Recht auf Arbeit, umfassende Kinderbetreuung und die Abschaffung des Paragraphen218.

Die Unterschiede zeigten sich in den gegenteiligen Positionen zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen. Die Westlerinnen wollen es gegen steigenden Druck der Unternehmer und die Bundesregierung beibehalten, die das Verbot noch in dieser Legislaturperiode aufheben will. Wer angesichts von Familienarbeit und schlechterer Bezahlung Frauen- Nachtarbeit für Gleichberechtigung halte, stelle die Gleichberechtigung auf den Kopf, so Gudrun Hamacher. „Wenn das Nachtarbeitsverbot auch auf unser Gebiet ausgedehnt wird“, argumentierten dagegen Betriebsrätinnen aus Leipzig, „fallen nochmal tausende von Arbeitsplätzen für uns weg. Wir werden dann durch Männer ersetzt.“ Ob die Ost-Delegierten sich dennoch auf den Kompromiß einer nicht näher bezeichneten „Übergangsregelung“ für die neuen Länder bei bleibendem Nachtarbeitsverbot im Westen einlassen würden, war bis Freitag mittag nicht abzusehen.

In der Wut über die Demontage der Kinderbetreuung in der Ex-DDR auf das erbärmliche West-Niveau war die Einheit von Ost und West allerdings voll verwirklicht. Gleich in einem ganzen Dutzend Anträgen forderten die Frauen möglichst kostenlose Tagesstätten für Kinder aller Altersstufen mit ausreichenden Öffnungszeiten in der Nähe der Wohnung oder des Betriebs. Obwohl in den neuen Ländern wesentlich mehr Frauen als Männer arbeitslos werden, sind sie in Beschäftigungsgesellschaften und AB-Maßnahmen unterrepräsentiert, weil sie bei der Bewerbung die Betreuung der Kinder nachweisen müssen, Männer dagegen nicht. Gudrun Hamacher forderte die Quotierung auch für AB- Maßnahmen. Der Ost-Arbeitsmarkt „darf nicht auf Kosten der Frauen ,bereinigt‘ werden“.

Von 1,6 Millionen Arbeitsplätzen in der Metallindustrie gingen im vergangenen Jahr 380.000, fast ein Viertel, verloren. Daß zuerst die Frauen gefeuert werden, trifft die Ost-Gewerkschafterinnen hart. Über die Hälfte der weiblichen Mitglieder, die sie vertreten, haben schon keine Arbeit mehr und ziehen sich zurück: wenig Verstärkung also für den innergewerkschaftlichen Kampf der IGM-Frauen, deren Anteil unter den Mitgliedern bei 21 Prozent liegt. Denn wenn auch die katastrophale berufliche Situation der Ost-Frauen und die Verständigung zwischen West und Ost zentrale Themen dieser Konferenz waren, wurde doch nicht vergessen, daß die IGM- Frauen immer auch gegen die Männer-Blockaden im eigenen Verein antreten müssen. Trotz entsprechender, fünf Jahre zurückliegender Beschlüsse, existieren nur in 40 Prozent der IGM-Verwaltungsstellen Frauenförderpläne. Nur wenige Frauen schaffen es in Funktionärsposten.

Die heftige Diskussion der letzten Frauenkonferenz um Arbeitszeitverkürzungen über die 35-Stunden-Woche hinaus wurde in Essen nicht fortgesetzt. Daß gleichwohl das männlich definierte lebenslange Ganztags-Normalarbeitsverhältnis kein Zukunftsmodell ist, wird sich heute in den Diskussionen zur „Tarifreform 2000“ zeigen. Im Kern kommt die Tarifreform Fraueninteressen entgegen, da sie moderne gewerkschaftliche Strategien der Arbeitsplatzgestaltung andenkt. Hier wollen sich die IGM-Frauen einmischen, wollen Frauenarbeit höher bewerten, also frauentypische Qualifikationen endlich angemessen entlohnen lassen, Weiterbildung verankern, soziale Arbeits-, Freistellungszeiten und frauenfreundliche Arbeitsorganisation einfordern. Durchsetzen müssen sich die IGM- Frauen mit ihren Forderungen zunächst in den eigenen Reihen: auf dem nächsten IGM-Gewerkschaftstag im kommenden Oktober.