„Aliens“, Flüchtlinge und Verwaltungsfälle

Über tausend Boat people sind seit dem Sturz Aristides aus Haiti in Richtung USA geflohen/ Wer es schafft, endet hinter Stacheldraht/ Andere werden auf Seekuttern oder auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo in Kuba zwischengelagert  ■ Aus Miami Rolf Paasch

Ganz im Westen Miamis, wo sich die Vorstädte hinziehen und langsam in die von Alligatoren bewohnten Sümpfe der „Everglades“ übergehen, öffnen sich dem Besucher die Tore des „Krome North Service Processing Center“. Es gilt einen Checkpoint und mehrere Gitterreihen zu passieren, ehe der Blick auf die Flachbauten fällt, verdeckt von niedrigem Buschland und hohen Schilfstauden. Und auf zwei graue Gebäude, die einem Flugzeughangar gleichen.

„Prozessiert“ werden hinter dieser DDR-ähnlichen Stacheldraht- Architektur Flüchtlinge, die vor der Küste Floridas aus US-Hoheitsgewässern gefischt wurden oder gar bereits US-amerikanischen Boden betreten hatten. Flüchtlinge? „Wir halten hier keine Flüchtlinge fest“, verbessert die Leiterin des Auffanglagers, Konstanze Weiss, den sprachungenauen Besucher. „Wir nennen sie ,Aliens‘ (Fremde).“ Schließlich hätten alle der gegenwärtig 450 Insassen von Krome versucht, die USA illegal zu betreten. Was sie nicht gleich zu Kriminellen mache, so Frau Weiss, „aber halt zu Verwaltungsfällen“.

Die letzten 49 „Verwaltungsfälle“ kamen am vergangenen Montag. Unbemerkt von der Küstenwache landeten sie mit ihrem acht Meter langen Segelboot „Buscando La Vida“ („Auf der Suche nach dem Leben“) an der Küste Süd-Floridas — das erste Schiff mit haitianischen Bootsflüchtlingen seit dem Sturz des Präsidenten Aristide am 30. September. Unterwegs hatten sie noch zwei auf Flößen treibende Kubaner aus den Wellen gerettet.

Und dies schafft für Frau Weiss und ihre Mannschaft der Immigrationsbehörde (INS) gleich zusätzliche Probleme. Sofort sieht sie sich von lokalen Flüchtlingsgruppen der Ungleichbehandlung bezichtigt. Die beiden Kubaner werden nämlich in ein paar Tagen das festungsgleiche Auffanglager verlassen haben: sie gelangen in die Arme der politisch einflußreichen exilkubanischen Gemeinde Miamis, Nutznießer eines Gesetzes aus dem Kalten-Krieg-Jahr 1966, das den Flüchtlingen des Castro-Regimes einen Sonderstatus zuweist. Die Haitianer dagegen, die mit 184 Personen derzeit den Hauptteil der Lagerinsassen darstellen, werden auch in Wochen oder Monaten noch in orangen Overalls auf kahlen Betonfußböden unter offenen Schutzdächern hocken, auf die gerade ein tropischer Regenguß herniedergeht.

Nein, mit ihnen reden darf der Besucher nicht. Und zu tun gibt es für die Ankömmlinge im gelobten Land auch nicht viel. Wer will, kann ein bißchen arbeiten, für einen Dollar pro Tag. Genächtigt wird in riesigen Schlafsälen für je 200 Männer und Frauen. Wer nicht spurt, landet in einer der zehn Isolationszellen. „Warnung: Nicht anfassen, agitieren, provozieren“ steht dort für die 85 hier diensttuenden Beamten am Schwarzen Brett angeschrieben. In der Vergangenheit hat es hier Vorwürfe allzu brutaler Behandlung gegeben. Diese, so beeilt sich Frau Weiss zu erklären, wären alle völlig übertrieben. Die interne Untersuchung laufe jedoch noch.

Am lebhaftesten geht es noch in der Gesundheitspraxis zu, dem einzigen Ort, wo Männer und Frauen miteinander sprechen können, während sie auf den Arzt warten. Sonst sitzen die „Aliens“ meist etwas apathisch unter den Regendächern, hier die Chinesen, dort die Kubaner und abseits kleine Gruppen der anderen rund 30 Nationalitäten, die auf politisches Asyl hoffen. Durchschnittliche Aufenthaltsdauer — ohne die Kubaner — acht bis zwölf Monate.

Frau Weiss kann daran nicht viel ändern. Im Augenblick hat sie noch ein zusätzliches Problem. Seit dem Sturz des ersten demokratisch gewählten Präsidenten auf Haiti hat das US-Außenministerium noch keine Direktiven zur Behandlung haitianischer Boat people durch die Immigrationsbehörden herausgegeben. Bisher war dies ganz einfach — fast alle 23.000 Flüchtlinge, die die Küstenwache seit dem Auslieferungsabkommen mit Haiti aus dem Jahre 1981 aufgriff, wurden einfach wieder zurückgeschickt. Nur 28 von ihnen überzeugten ihre Verhörer in den fünfminütigen Interviews, daß sie in Haiti „Gefahr für Leib und Leben“ erwarte. Nach dem Amtsantritt Aristides war die Zahl der Boat people dann in diesem Jahr auch beständig zurückgegangen.

Doch seit dem Militärputsch sind die Diplomaten der Bush-Administration etwas ratlos. Angesichts des gewaltsamen Todes mehrerer hundert Haitianern unter dem neuen Regime wollen die USA die neuankommenden Flüchtlinge nicht wie üblich zurückschicken und sich damit internationaler Kritik aussetzen. Ebensowenig will die Bush-Administration jedoch den neuen Boat people nun politisches Asyl gewähren.

Denn die 49 Neuankömmlinge in Krome waren nur der erste Schub. In den letzten Tagen hat die Küstenwache vor Florida über tausend Haitianer abgefangen. Rund fünfhundert von ihnen sind mittlerweile auf den US-Militärstützpunkt Guantanamo nach Kuba transportiert worden. Der Rest wird seit über zehn Tagen unter immer unhaltbareren Bedingungen auf zwei Schiffen der Küstenwache auf hoher See festgehalten.

Da das Auffanglager von Krome unmöglich so viele Fremdlinge aufnehmen kann, bemühen sich die USA derzeit zusammen mit dem UNHCR, andere karibische Länder zur Aufnahme zu bewegen. Angeblich sollen Belize, Honduras, Venezuela sowie Trinidad und Tobago sich auf Druck der USA hin jetzt zur Aufnahme gewisser Flüchtlingskontingente bereit erklärt haben.