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Der kleine Unterschied

■ Der Verleger handelt/ Die taz-Nachrichtenredaktion am Tage nach der Kündigung der gesamten Belegschaft

Berlin (taz) — Unser Redaktionsleiter raucht wieder. Was heißt rauchen — er qualmt derart aus sämtlichen Röhren, daß allen hören, sehen und schnaufen vergeht. Er, mit dem Asketenkopf, der vor langen Jahren allen Lastern abgeschworen hat, den ich immer nur hüstelnd und Gesundheitspastillen schnullend durch die Gänge latschen sah, legt jetzt schon morgens um acht eine Packung in Asche. Dabei geht er noch ein bißchen gebeugter als sonst, trägt das Haar noch ein bißchen schütterer und zieht sich noch ein bißchen schwärzer an. Aber sonst ist er gut drauf, wenn man bedenkt, daß er in sechs Wochen arbeitslos ist.

Es ist schon trostreich, wenn ein Schicksalsschlag nicht einen allein aus der Masse herauswirft, sondern alle gleichberechtigten Anteil am Ungemach haben. Und dafür ist die taz ja berühmt, daß alle das gleiche kriegen. Und jetzt kriegen halt alle gar nix mehr ab 1. Januar.

Vorerst!

In nächster Zukunft wird es dann doch den einen oder anderen kleinen Unterschied geben. Zum Beispiel, wer in der neuen taz, die wie ein Phönix aus der Asche der Selbstverbrennung hervorgehen soll, weiter wirken und weben wird: Wer also am ersten Tag des neuen Jahres über die frischgestrichene Schwelle der Kochstraße 18 getragen wird und wer sich fröstelnd und mit hochgeschlagenem Kragen vor dem Arbeitsamt herumdrückt, das — Gott sei Dank — gleich um die Ecke ist.

Angesichts dieser Unwägbarkeiten zeigen sich die Gesichter der Redakteure geradezu munter. Die Absurdität der Lage hat ja auch zweifellos ihre komischen Seiten. Im übrigen scheint der tazler an und für sich ein Wesen mit gesundem mentalen Immunsystem zu sein, das durch Kasteiung erprobt gegen Schicksalsschläge aller Art gefeit ist. Und nach Wochen der Selbstzerfleischung und des Stocherns in eitrigen Wunden ist ein sauberer Schnitt in aller Brutalität geradezu eine Erlösung.

Mein Kollege Klaus bringt schon wieder den Gleichmut auf, sich am Telefon mit: „Guten Tag, hier taz-Konkursverwaltung“ zu melden und lacht herzlich, wenn uns ein Fax erreicht, in dem ein Autor die mulmigen Gefühle in Worte kleidet, die ihn befallen, wenn er Faxe an gekündigte Redaktionen schicken muß. Klaus' Geistesgröße wird aber erst richtig deutlich, wenn man gelesen hat, was in seinem heutigen 'BILD‘-Horoskop zu lesen ist, dessen öffentliche Lektüre zu den allmorgendlichen Ritualen der Nachrichtenredaktion gehört. Da steht unbarmherzig: „Begraben Sie alte Beziehungen“. Klaus ist Löwe!

Den Widdern unter uns geht es übrigens nicht viel besser: „Es kann Sie jederzeit erwischen“, verheißen die Sterne wenig tröstlich.

Wen es erwischt und wen nicht, wird sich in den nächsten Wochen herauskristallisieren. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, schnell noch einen guten Eindruck bei den Kollegen zu hinterlassen, die ja dann über die Wiedereinstellung befinden sollen.

Dieser Meinung war wohl auch Carlo, mein anderer Kollege, als er uns heute früh eine Mitteilung hinterließ, in der er sich selbst — ganz gegen seine Natur — für ein Versäumnis geißelte: „ähem“, stand da, „Ich hab leider gestern einen Text vergessen. Bitte bei Wiedereinstellungsverhandlungen NICHT gegen mich ins Feld führen: Biete bei nächster Gelegenheit DOPPELTE Platzmenge für HALB SO WICHTIGES Thema“. Sabine Rückert

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