Erich Honecker — Persona non grata

■ Der russische Justizminister Fjodorow glaubt, daß die Auslieferung des alten Diktators nur noch Tage dauert

Bonn/Moskau (ap) — Honecker ist in Rußland nicht besonders gern gesehen. Die russische Regierung will den früheren DDR-Staats- und Parteichef so rasch wie möglich in die Bundesrepublik ausweisen. Justizminister Nikolai Fjodorow sagte gestern, die Überführung sei „eine Sache von Tagen oder Wochen“. Allerdings könne er nicht ausschließen, daß Ärzte den 79jährigen, der quasi unter Hausarrest in einem sowjetischen Militärhospital in Moskau leben soll, für nicht transportfähig erklärten.

Fjodorow, der an einer Konferenz von Bundesjustizminister Klaus Kinkel teilnahm, sagte, Honecker halte sich in Rußland auf und unterliege damit der russischen Gerichtsbarkeit, „und das 100prozentig“. Auch moralische Bedenken des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow würden nichts daran ändern. Doch manchmal zählten in der Politik auch andere Gründe. Die Russen würden Honecker „bewachen und beschützen“. Bundesjustizminister Klaus Kinkel begrüßte diese „Eindeutigkeit“ der Aussage. Fjodorow habe ihm auch mitgeteilt, daß das sowjetische Justizministerium nicht mehr existiere. Er gehe nun davon aus, daß die Bundesrepublik Honecker bald hier vor Gericht stelle. Kinkel forderte „mit Nachdruck“ die Rückführung des ehemaligen DDR-Staatschefs und sicherte ihm ein „absolut faires und rechtsstaatliches Verfahren“ zu. Honecker sei für das Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetunion „nicht unbedeutend“.

Rußlands Präsident Jelzin äußerte sich in Moskau: Er halte die Forderung der deutschen Behörden nach Überstellung Honeckers für gerecht, doch die Auslieferung liege bei der sowjetischen Führung. Gorbatschow hatte am Wochenende unterstrichen, die Auslieferung des einstigen Weggefährten an die deutsche Justiz zu verhindern: „Die Sache Honecker hat vor allem mit Humanität zu tun.“

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl-Heinz Hornhues, sieht „gute Gründe, die für ein Verbleiben von Erich Honecker in Moskau sprechen“. Sollte er nach Deutschland ausgeliefert und „nach einem Verfahren freigesprochen werden, so würde dem Rechtsbewußtsein in unserem Land, insbesondere im Osten, schwer geschadet“, erklärte er. Bundeskanzler Helmut Kohl forderte Honeckers Rückkehr ohne Bedingungen: Es dürfe in der Bundesrepublik nicht der Eindruck entstehen, daß man die Kleinen fange, die "Großen aber laufen läßt".

Scharfe Kritik an Gorbatschow übte auch der stellvertretende SPD- Vorsitzende Wolfgang Thierse. Die Bundesrepublik wolle die Auslieferung Honeckers, nicht „um Rachegefühle zu befriedigen, sondern er soll ein faires Verfahren bekommen“. Es könne nicht sein, daß Mauerschützen verurteilt werden, aber der Befehlshaber „in Ruhe gelassen wird“.

Das Auswärtige Amt dementierte unterdessen Berichte, nach denen Hans-Dietrich Genscher Honecker zu seinen Kindern nach Chile ausreisen lasse wolle.