Die Eroberung Vukovars ist keine große Leistung

■ Das Versagen der Bundesarmee lag zum einen an der Motivationslosigkeit der einfachen Soldaten, desweiteren daran, daß die ehemalige Partisanenarmee Titos für einen internen Stellungskrieg nicht konzipiert wurde

Sie ist die hochgerüstetste Armee Südosteuropas. Dennoch blieb der jugoslawischen Volksarmee bis zum Sonntag ein entscheidender militärischer Erfolg verwehrt. Erst nach 83 Tagen Dauerangriff gelang es ihr, die rund 50.000 Einwohner zählende Stadt Vukovar einzunehmen. Militärisch gesehen ist das keine große Leistung. Erst recht nicht, wenn man in Betracht zieht, daß die Stadt zu ihrer „Befreiung“ zu einem einzigen großen Trümmerfeld zerbombt wurde.

Zum einen lag der Mißerfolg an der Motivationslosigkeit der einfachen Soldaten, die von den Generälen kurzerhand an die Front geschickt wurden, um einer, wie sie behaupten, „drohenden faschistischen Gefahr“ entgegenzutreten. Wenngleich die Mehrzahl der serbischen Rekruten der kroatischen Regierung Franjo Tudjmans keineswegs freundlich gesinnt sind, so halten viele die Armeepropaganda von einem „neuen kroatischen Faschismus“, der ganz Jugoslawien zu unterjochen suche, dennoch für ein Hirngespinst, für das es sich nicht zu sterben lohnt.

Wie wenig die eigene Kriegspropaganda in der Truppe ausrichten konnte, wurde den Generälen schnell bewußt. Doch sie glaubten, die Kampfbereitschaft durch den Austausch der jugendlichen Rekruten durch altgediente serbische Reservisten schnell wieder anheben zu können. Aber auch dies schlug fehl. Der Hauptgrund: Zehntausende von Reservisten weigerten sich, den Dienst anzutreten, Tausende flohen ins Ausland oder versteckten sich. Und selbst von denen, die an der Front waren, berichteten einige, sie hätten auch in Vukovar lediglich über die Häuser geschossen.

Nur durch Materialüberlegenheit

Ein weiterer Grund ist, daß die Bundesarmee gar nicht für einen solchen Stellungskrieg geschaffen wurde; Staatsgründer Tito und seine Genossen hatten eine völlig andere Kriegsführung im Kopf. Die Beispiele der ungarischen Revolution von 1956 und des Prager Frühlings von 1968 vor Augen, war Tito überzeugt, seine Armee müsse für einen ausländischen Aggressor gewappnet sein, nicht aber für interne Unruhen. Für solche Einsätze griff Staats- und Parteichef Tito auf die sogenannten Territorial-Einheiten zurück. So 1968 bei den ersten nationalistischen Unruhen im Kosovo und 1971 zur Niederschlagung des sogenannten „Kroatischen Frühlings“. Jeder Republik eine eigene Territorialeinheit, lautete Titos Devise, eine bewaffnete „Volksverteidigung“, die an den dezentral geführten Partisanenkampf des Zweiten Weltkrieges anknüpfen sollte.

Mit leichten Panzerfahrzeugen und Artilleriewaffen modern ausgerüstet, sollten diese militärischen Einheiten als erste Kampftruppe im Falle einer Aggression in Aktion treten. Die ersten Bodenaktionen fielen nach dieser Doktrin den Territorialeinheiten zu, zunächst bei heftigeren Kampfhandlungen; im späteren Kriegsverlauf sollte die Volksarmee mit schwerem Geschütz auffahren, mit Kriegsbooten und dem Einsatz von Kampfbombern. Doch selbst die Verteilung des Nachschubs und die militärische Logistik blieben weiterhin bei den Kommandozentralen der sechs einzelnen Republiken.

An diesem Konzept hat sich bis heute nichts geändert, nur die Konstellation. Slowenien wie Kroatien gingen vor Monaten daran, aus den Territorial-Streitkräften eigene nationale Armeen aufzubauen.In der Kriegstaktik blieb man der Tito-Doktrin treu: Die Kroaten befolgten nur das, wozu sie in ihrer eigenen Wehrdienstzeit ausgebildet wurden: den Partisanenkampf in kleinen Gruppen gegen einen äußeren Aggressor. Gegen eine Armee, die zwar die Abwehrmethoden des Guerilla-Krieges kannte, ihm aber nichts im Stellungskrieg um Vukovar entgegenzusetzen wußte. Es war einzig und allein die Materialüberlegenheit der Bundestruppen, die zu der aktuellen Lage in Vukovar geführt hat. Roland Hofwiler