Erhardts Nullen und das Ende der Friedensforschung

■ Das Institut für Friedens- und Konfliktforschung an der Humboldt-Universität steht auf der Abschußliste/ Beschäftigte wurden nicht informiert/ Prorektor Reinisch befürwortet statt Institut ein billigeres Zentrum/ Schon bei der Gründung 1990 hatte das Institut den Ruf, viele MLer zu versammeln

Berlin. Opfer der SED-Herrschaft seien sie nicht gewesen, wehrt Institutsdirektor Dr. Andrée Türpe ab, auch keine oppositionelle Gruppe. Aber sie hatten versucht, ein bißchen freier zu denken, als ihnen eigentlich erlaubt war. So hatten sie sich Gedanken gemacht über »das Bild vom anderen im Wettstreit der Systeme«: ein Versuch, das Bild vom bösen kriegstreibenden kapitalistischen Block zu differenzieren und die starren Schemata der DDR-Propaganda im Ost-West-Konflikt aufzubrechen. Die SED-Oberen hatten sie deswegen als revisionistisch gebrandmarkt, und sie hätten den Zentralen Arbeitskreis für Friedensforschung wohl aufgelöst, wenn er nicht internationale Unterstützung gehabt hätte.

Das gehört zur Vorgeschichte eines Instituts, das jetzt an der Humboldt-Universität auf der Abschußliste steht: das Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Im Frühjahr 1990 war es gegründet worden, nachdem die Friedensforscher — Wissenschaftler aus verschiedenen Sektionen — fünf Jahre lang nur im losen Verbund des Arbeitskreises toleriert worden waren.

Sechs Nullen in einem Papier des Wissenschaftssenators Manfred Erhardt kündigen nun das baldige Ende des Instituts an. Die Nullen markieren die für dieses Institut künftig vorgesehenen Stellen. Als die Friedensforscher Erhardts Nullen entdeckten, rieben sie sich verwundert die Augen. Niemand hatte ihnen offiziell mitgeteilt, daß ihr Institut geschlossen werden sollte. Rektor Fink, so Türpe, und Prof. Bank (für die humboldteigene Personal- und Strukturkomission) hätten vielmehr versichert, daß die HUB das Institut erhalten wolle. Für den zuständigen Prorektor Reinisch bedeutet Erhardts Haushaltsansatz jedoch, daß das Schicksal des Instituts faktisch besiegelt ist: »Wir müssen das zur Kenntnis nehmen, weil wir auf die Senatsplanung keinen Einfluß haben.« Die HUB ist dem Senator ausgeliefert, weil der Senat sie noch nicht in die Autonomie entlassen hat.

Reinisch befürwortet anstelle des Instituts ein (billigeres) Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung, eine kleine Geschäftsstelle, die die Arbeit von Wissenschaftlern verschiedener Institute koordiniert. Damit würde an bessere Zeiten vor der Wende angeknüpft, als noch im Rahmen des Arbeitskreises effektiv interdisziplinär geforscht worden sei.

Es gibt aber noch einen anderen Grund für die Skepsis des Prorektors gegenüber dem Institut: die personellen Altlasten. Schon bei seiner Gründung 1990 hatte das Institut den Ruf, eine Stellenbeschaffungseinrichtung für heimatlos gewordene ML-Dozenten zu sein. Mittlerweile sind umstrittene Professoren ausgeschieden. Einige (so der persönliche Referent eines berüchtigten SED- Bezirkssekretärs) haben sich jedoch erfolgreich zurückgeklagt.

Andererseits hat das Institut in den Augen der Universitätsleitung »hochbegabte Mitarbeiter«, die die HUB nicht verlieren möchte. Den Betroffenen nutzen solche Bekundungen indes wenig. Wenn das Institut aufgelöst wird, müßten andere Institute Lehrstühle für die Friedens- und Konfliktforscher zur Verfügung stellen. Das sei aber nach Ansicht Türpes kaum zu erwarten in einer Zeit, da die Institute Stellen abbauen müssen. Trösten können sich die Friedensforscher damit, daß ihr Anliegen, die Friedensforschung, auch nach Ansicht der Universitätsleitung wichtiger denn je ist — da mit der neuen Weltordnung und den neuen Kriegen ganz neue Aufgaben auf sie zukommen. Winfried Sträter