Wenn ein Flugzeug draufstürzt, ist es hin

Der Feuerschutz im AKW Kosloduj ist äußerst mangelhaft/ Brennelementelager mit leichtem Dach und dünnen Wänden  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Kosloduj (taz) — Freitag ist Besichtigungstag. Die Putzfrauen am Boden des Maschinenraums schwingen Eimer und Aufnehmer. Die deutschen Gäste sollten einen guten Eindruck vom Atomkraftwerk in Kosloduj bekommen. Für Ordnung rund um die sechs Reaktoren sorgen seit Monaten neben den bulgarischen Fachkräften auch Experten aus Spanien, den USA, Frankreich und Deutschland. Doch schon in der Reaktorwarte des Blocks zwei bekommt der aufpolierte Eindruck einen derben Kratzer. Eine Warnanzeige leuchtet und zeigt zu wenig Wasser im Kühlkreislauf des 440-Megawatt-Meilers an. Trotz mehrmaliger Rückfragen ist der zuständige Mitarbeiter nicht in der Lage, den genauen Meßstand zu erklären und warum die Abweichung, die zum Warnlicht führte, kein Anlaß zur Besorgnis ist. Der Rundgang durch Maschinenhalle und Schalträume präsentiert ein AKW, dessen technische und bauliche Defizite selbst dem Laien deutlich ins Auge fallen. In der Reaktorwarte des benachbarten Blocks vier (440 MW) beherrscht das schwarze Feuerwehrtelefon zwar an zentraler Stelle den Tisch der Operatoren. Nur Holztüren trennen die Reaktorwarte jedoch von den Nebenräumen. Von Stahltüren als Feuerschutz keine Spur. Die reichlich lädierten Fenster im Rücken der Operatoren lassen das graue Novemberlicht hinein. Hinter einer weiteren Holztür ist die Reservewarte für Notfälle. Bei den Blöcken eins und zwei gibt es gar keine.

Stahltüren entfernt gähnt ein vergittertes Loch als offene Verbindung zwischen den Rohren des Sekundärkreislaufs und den zentralen Sicherheitseinrichtungen des Kraftwerksblocks. Wenn es zu einem Leck im Kreislauf käme, „würde der ausströmende heiße Dampf die Sicherheitssysteme sehr gefährden“, so Michael Sailer vom Darmstädter Öko-Institut nach der Besichtigung. Sein Fazit: Wirklichen Schutz bei Feuer könne es nur geben, wenn man die Reaktorwarten der vier 440-MW-Blöcke neu aufbaue und die Kabel in den Nachbarräumen neu verlege. Insgesamt seien die Reaktoren in einem „deutlich schlechteren Zustand als die in Greifswald und im tschechoslowakischen Bohunice. Dort habe ich die Abschaltung empfohlen.“

Brennelemente hinter Stacheldraht

Wenige hundert Meter weiter liegt das Lagerhaus für die abgebrannten Brennelemente — durch einen einfachen Stacheldrahtzaun vom übrigen AKW-Gelände abgetrennt. Die Sowjets, die bisher den Atommüll abgenommen haben, verschärften kürzlich die Rücknahmebedingungen. Der Leiter des Atommüllagers Nicolai Widenow ist ganz sicher, „daß wir in Zukunft Schwierigkeiten bekommen“ mit dem Atommüll. Die bulgarischen Fachleute hätten auch schon Angebote aus Frankreich und Großbritannien bekommen.

In der gelben Halle mit dem kühlen blauen Zwischenboden wird das Kühlwasser für die abgebrannten Brennstäbe auf 27 Grad Celsius gehalten. Die Kühlbecken werden über einen Wärmetauscher mit Donauwasser auf 27 Grad gehalten. Makaber wirkt der Holzbalken zwischen zwei Rohren, der im Maschinenraum des Wärmetauschers den Abstand zwischen zwei Rohren sicherstellen soll. Er soll bei Erschütterungen das Aneinanderschlagen der Rohre verhindern. 1977, 1986 und 1990 hatten Erdbeben die Region um Kosluduj erschüttert. Jedesmal wurden die Reaktoren abgeschaltet.

200 Liter Kühlwasser verdunsten aus den 2.000 Quadratmeter großen vier Kühlbecken für die abgebrannten Brennelemente pro Tag. Als Dach dient dem Atommülllager eine Leichtkonstruktion, die Wände sind dreißig Zentimeter dick. „Wenn ein Flugzeug draufstürzt“, so bekennt Widenow freimütig, „wird das Zwischenlager leider zerstört.“ Daher seien in 25 Kilometer Umkreis keine Flüge mehr erlaubt. Wie dieses Verbot jedoch jenseits der Donau, im benachbarten Rumänien, durchgesetzt wird, weiß der Kraftwerker nicht.

Zwei Tage vor dem Besuch der deutschen Delegation des Grünen- Abgeordneten Klaus-Dieter Feige passierte der letzte Störfall. Eine Fehlanzeige hatte nach Angaben der Reaktorleitung zur Schnellabschaltung des großen Block sechs geführt. Nach acht Stunden ist der Meiler wieder angefahren worden.

Doch trotz Störfällen und Sicherheitsbedenken können sich die leitenden Mitarbeiter des AKWs ein Abschalten nicht vorstellen. AKW- Chef Kiril Nikolov begrüßte die deutschen Gäste mit Sarkasmus: „Wissen Sie, wenn wir einen so guten Partner wie die Ostdeutschen gehabt hätten, vielleicht wäre unser AKW auch dicht.“