„Die Rosen waren immer gepflegt“

■ Stuttgarter Landgericht besuchte das ehemalige Getto Przemysl/ Eine Zeugin erinnert sich an Familie des ehemaligen SS-Oberscharführers Josef Schwammberger

Przemysl/Stuttgart (dpa) — „Er war ein gutaussehender Mann“, bestätigte die alte Frau vor der Villa in Przemysl, in der der ehemalige SS-Oberscharführer Josef Schwammberger 1943 mit seiner Frau und dem Sohn „Horsti“ wohnte. Sie sei damals noch ein Kind gewesen, erzählt Helena Turek, und habe mit ihren Eltern hier in unmittelbarer Nähe des Gettos in dem grauen Mietshaus neben der Villa gelebt. Einen „prächtigen großen“ Schäferhund namens Prinz habe Schwammberger gehabt, den er auf Menschen hetzte, und Pferde. Der Rosengarten sei immer gepflegt gewesen.

Einmal hätten die Nazis Geiseln genommen. Ein alter Mann, dessen beide Söhne verhaftet waren, sei vor Frau Schwammberger niedergekniet und habe um das Leben eines seiner Söhne gefleht. „Die Frau brach in Tränen aus und sagte, sie selbst wolle gern helfen, aber sie könne nichts tun, denn ihr Mann sei so streng.“ Trotz strömenden Regens war die ehemalige Nachbarin Schwammbergers aus einem anderen Stadtteil gekommen. In Przemysl kursierte das Gerücht, Schwammberger selbst sei hier.

Die Mitglieder der Neunten Strafkammer des Landgerichts Stuttgart waren ohne den Angeklagten gekommen. Ihnen ging es vor allem darum, durch Augenschein Zeugenaussagen zu überprüfen. Das Verfahren gegen Schwammberger betrifft vor allem die Ereignisse im Arbeitslager 1943, als die meisten Insassen des Gettos von Przemysl schon abtransportiert und ermordet worden waren. Die meisten Gebäude stehen noch — auch die ehemalige Kaserne, in der die letzten überlebenden Arbeitssklaven aus den Wohnungen der ermordeten Juden geraubte Kleidung und Möbel für den Transport sortierten. Herr über Leben und Tod war Josef Schwammberger.

Als er nach Przemysl kam, waren Tausende von Juden bereits ins Vernichtungslager Belzec abtransportiert worden. Auf dem damaligen „Sammelplatz“ in der Nähe der Bahngleise ist heute eine Gehörlosenschule. Die Überlebenden wußten, daß die Transporte in den Tod gegangen waren, und versteckten sich in und unter den Häusern in Bunkern. Viele wurden gefunden und ermordet. Schwammberger lockte etwa 1.000 von ihnen mit Versprechungen, sie kämen zu Arbeitseinsätzen, aus ihren Verstecken. Sie wurden einige Tage lang in der Rokitnianska-Straße untergebracht und bekamen sogar etwas zu essen.

Dann aber trieb man sie in die Turnhalle einer nahegelegenen Schule in der Kopernika-Straße. Diese Schule und das Turnhallengebäude im Hof in einigem Abstand von der Mauer des Gefängnisses, das noch immer Gefängnis ist, stehen noch heute. Die Menschen wurden erst in der Turnhalle zusammengepfercht und dann in einer stundenlangen Aktion zwischen der Halle und der Gefängnismauer erschossen. Die Leichen wurden verbrannt.

Die Besichtigung dieser Schule und der Turnhalle gehörte zu den eindrucksvollsten Momenten der Gerichtsvisite. Die Teilnehmer konnten sich auch davon überzeugen, daß man von verschiedenen Häusern auf der gegenüberliegenden, von Polen bewohnten Seite der Kopernika-Straße in den Hof sehen konnte.

In Przemysl lebten vor dem Zweiten Weltkrieg knapp 20.000 Juden. Heute gibt es höchstens noch vereinzelte Juden in dieser Stadt. Renate Marsch