Planzen sehen rot

■ Farbige Folien wirken auf Pflanzen sehr erregend

Es ist nicht einfach, eine Pflanze zu sein. Ein harter Konkurrenzkampf um Raum, Licht, Wasser und Nährstoffe tobt in der grünen Lebenswelt. Wer sich behaupten will, braucht einen guten Nachrichtendienst. Den hat Mutter Natur den pflanzlichen Überlebenskünstlern glücklicherweise eingebaut — in Form des Phytochrom-Systems. Phytochrome sind Farbstoffe, die rotes Licht in zwei verschiedenen Längenwellen absorbieren: das für Menschenaugen „sichtbare“ Rotlicht und längerwelliges, „nicht sichtbares“, infrarot-nahes Rotlicht.

Grüne Blätter absorbieren sichtbares Rotlicht und reflektieren infrarot-nahes Rotlicht. Eine Pflanze, die von vielen grünen Kollegen umgeben ist, empfängt also mehr reflektiertes infrarot- nahes Rot als eine isoliert stehende Pflanze. Das veranlaßt ihr Phytochrom-System, Alarm zu schlagen: Konkurrenz! Um sich einen Vorsprung zu verschaffen, steckt die gestreßte Pflanze ihre Energie in Stengel- und Blätterwachstum, während sie die Wurzeln vernachlässigt. Denn, wer lang bestengelt ist, ragt über den Feind hinaus und wird nicht beschattet, und großflächige Blätter mit mehr Chlorophyll erhöhen die Photosyntheserate und damit die Energieproduktion.

Amerikanische Agrarbiologen sind jetzt auf die Idee gekommen, das pflanzliche Nachrichtennetz zu unterwandern. Michael Kasperbauer vom US- Landwirtschaftsministerium hat verschiedene Gemüsearten mit grünen Plastikfolien umgeben, die infrarot-nahes Licht reflektieren. Prompt „sahen“ die Versuchspflanzen „Konkurrenz“ und sprossen höher und beblätterten sich stärker als die Kontrollpflanzen. Weitere Untersuchungen ergaben, daß auch der Zucker- und Eiweißgehalt, die Wurzelstärke und der Zeitpunkt der Fruchtbildung über das Phytochrom-System reguliert werden können. Tomaten auf roter Folie tragen früher als solche auf bloßem Erdreich. Im blauen Ambiente stecken Pflanzen ihre Energie in Form von Zucker in die Wurzeln. Rüben, die auf „blau“ wachsen, dies ergab ein Geschmackstest, schmecken süßer als die Vergleichsrüben.

Amerikas Gemüsebauern zeigen reges Interesse an Kasperbauers farbigen Rabatten. Die Verwendung von Folien im Gartenbau ist nicht neu. Schon lange erwärmt schwarzes Plastik den Boden im Frühjahr, weißes Plastik kühlt ihn im Sommer. Reflektierende Folien werden bei der Schädlingsbekämpfung verwandt. Schädlinge, die eine solche Folie überfliegen, sehen unter sich blauen Himmel, werden konfus und lassen sich woanders nieder.

Zweihundert Millionen Pfund Plastik breiten amerikanische Gemüsebauern schon jetzt jedes Jahr auf ihren Feldern aus. Kasperbauer will diese Zahl noch erhöhen. Er hat für seine farbigen Folien ein Patent angemeldet. Andere Forscher sind bereits damit beschäftigt, biologisch abbaubare Folien zu entwickeln. Silvia Sanides