Der Heine, die Liebe und das Geld

■ Marcel Reich-Ranicki ist zehn Öltanks

Heine schilderte in seinen Gedichten, was er zu erleben hoffte, erlebte und zu erleben fürchtete.“

Wer solch tiefschürfende Erkenntnis vor einem über 700köpfigen studentischen Auditorium formulieren darf, muß schon einen großen Namen haben. Marcel Reich-Ranicki, der die Existenz des Literaturkritikers als Entertainer wie kein anderer verkörpert, trat ein neues Amt in der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität mit einer Vorlesung über Heine und die Liebe an.

Daß das eigentlich vertraute Bild von sich bis in die Gänge hinein stapelnden Studierenden diesmal Ungewöhnliches ankündigte, darauf wies neben der Anwesenheit des Rektors Gert Kaiser auch eine erste Reihe mit Extrabestuhlung und dort sitzenden honorigen Herren hin.

Weit über zehn Jahre — und oft zum Gespött der Öffentlichkeit — hatte sich die Universität dagegen gesträubt, den Namen des berühmten Düsseldorfer Schriftstellers anzunehmen. 1989 setzten sich die Anhänger des nicht nur einstmals Verfemten schließlich doch durch. NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn, deren Taten für die Geisteswissenschaften sonst eher dem Prinzip des Kahlschlags folgen, schenkte daraufhin der Universität eine Heine-Professur, die Reich- Ranicki nun als erster für zwei Semester innehat.

Für das Prominentenspiel mit werbewirksamem Medienspektakel fehlt indes vielen Germanistikstudenten angesichts einer Auslastung ihres Studienganges von über 160 Prozent der Sinn. Einführungsseminare, in denen neben Grundkenntnissen auch der wissenschaftliche Diskurs eingeübt werden sollte, gelten mit 40köpfiger Besetzung als leer, Hauptseminare werden inzwischen von vornherein in Hörsälen angesetzt. Ihren Unmut formulierte wenige Wochen zuvor bei der Begrüßung der Erstsemester ein Fachschaftsvertreter: „Mit den 50.000 Mark, die Reich-Ranicki in zwei Semestern für vielleicht zehn Vorlesungen einstreicht, hätten 50 normale Lehraufträge vergeben werden können.“

Die süffisante Entgegnung des Linguistik-Professors Rudi Keller, Spitzensport sei nun einmal teurer als Breitensport, quittierten die Fachschaftler nur noch mit Hohngelächter. Und die erste Vorlesung des Literaturkritikers gab ihnen zweifellos recht. Natürlich erwies sich Reich-Ranicki einmal mehr als der brillante Rhetoriker, der in einem Nebensatz scharfe Urteile zu sprechen gewohnt ist. Natürlich auch wußte er seine erste Begegnung mit Heines Lyrik ebenso unterhaltsam vorzutragen wie ihre Wirkung auf des Dichters Zeitgenossen.

Was aber durfte der Zuhörer an Substantiellem mitnehmen? Etwa, daß Heines Lyrik „aggressiver, ironischer, ja moderner“ war als Mörikes oder Eichendorffs? Oder daß Heine „poetischer Sachwalter“ all jener Unterdrückten war, die „sich nach Liebe sehnend leer ausgingen“?

Oder vielleicht seine zentrale These, daß nämlich hinter der durch die untrennbare Verbindung von Glück und Schmerz bestenfalls ambivalenten Liebeslyrik im Buch der Lieder das ganze Leiden des deutschen Juden stecke, der nach der gesetzlichen Emanzipation dennoch keine gesellschaftliche Anerkennung fand? Billiger wäre es für die Universität, lehrreicher für die Studierenden dann doch gewesen, einen Stoß halbwegs fundierter Heine-Biographien zu verteilen.

Daß dabei für die 5.000 Mark, die der in 70minütige, ausgefeilte Rede gebrachte gesunde Leserverstand kostete, fünf ganzsemestrige Seminare hätten stattfinden können, macht den Publicitygag über die Peinlichkeit hinaus für die Studierenden zum Skandal. Thomas Hoeps