: Geisterbahn in der City
■ Über ein offenes Museum in der Dunckerstraße 14/15
Noch immer lugen die Reste eines zerdepperten Fotoapparats aus dem Gips. Drumherum ist ein Rahmen, und das kleine Kunstwerk warnt die FotografInnen, die's angeht, den halb besetzt, halb legalisierten Gebäudekomplex der Dunckerstraße 14/15 zu betreten. Mit der Presse haben die Bewohner so ihre Erfahrungen: vor fünf Monaten waren sie als »die Kinder vom Alex« in einer 'Super!‘-Serie übel diffamiert worden. Für den Verzicht auf eine Gegendarstellung der Boulevardzeitung, die sie in verschiedenen Instanzen vor Gericht mit einstweiliger Verfügung u.s.w. erstritten hatten, bekamen sie im September 10.000 DM. Die Gegendarstellung hätte auch kaum noch Sinn gehabt. Die Diffamierungen lagen so lange zurück, daß der Zusammenhang zwischen Hetzbericht und seiner Korrektur nicht mehr erkennbar gewesen wäre. 'Super!‘ kauft sich im übrigen nicht nur die, die sie vorher auf ein paar Seiten fertiggemacht hat, sondern klaut auch Bilder. Nachdem ein befreundeter Fotograf es am Telefon abgelehnt hatte, der Burda/Murdoch-Zeitung ein schon im 'Spiegel‘ veröffentlichtes Foto zur Verfügung zu stellen, hatten sie's einfach aus dem Nachrichtenmagazin herauskopiert und ihm das doppelte Honorar überwiesen. Aber das nur nebenbei.
Vor dem Eingang, neben zwei Performancekünstlern warten ein paar Leute von »elf 99« auf ihren Kameramann. Er kommt nicht. Wahrscheinlich hat er verschlafen, wie die Bewohner, die so eine Sendung von DT64 verpaßten, in der es um die Häuser ging, die nach der 'Super‘- Geschichte, vier Brandstiftungen im Sommer, bis weit über Berlin hinaus zum Symbol wurde.
Anstatt sie zu entmutigen, motivierten die Brandstiftungen gerade die Künstler im Haus zu verstärktem Engagement. »Hackepeter«, »Tombo«, »Ruprecht«, »Octavio« und die anderen Kunstautodidakten jedenfalls haben seitdem anderthalb Seitenflügel und den Hinterhof in ein freies Museum verwandelt. Von dem üblichem Kunstbetrieb möchte sich die Gruppe absetzen. Auf »Schickis«, die »kurz mal hierherkommen, um sich die Kunst reinzuziehen, wie 'ne Portion Pommes« haben sie keine Lust. Wer herkommt, soll ein wenig Zeit mitbringen und sich durch die Kunstgeisterbahn führen lassen.
Im Hinterhof warten riesige Pappmachémonster und -reptilien. Aufgespießte Motorräder ragen in den Himmel. »Das ist Recycling, was wir machen«, erzählt Hackepeter. »Wir arbeiten mit Sachen, die wir auf der Straße finden. Wir zerschneiden oder zerstückeln sie, setzen sie wieder anders zusammen und stellen sie hin.« Das ist gewalttätig zuweilen, aber auch spielerisch wie ein Splatterfilm aus den siebziger Jahren.
Skelettähnliche Gestalten hängen von der Decke herab; hingehuscht hinter Gazestreifen, daß es ein wenig aussieht wie Röntgenbilder im rosa Licht, in Herrgottswinkeln sitzt eine Puppe auf dem elektrischen Stuhl; davor liegen Plakate aus der Mainzer Straße. Überall liegen und hängen Puppen; zerstückelt oder ganz oder bemalt. Gekreuzigt ist der Teddybär. Mischwesen aus Auto und Mensch schauen in's Treppenhaus. Klassisch leiert Musik von irgendwoher. Lebensgroße Figuren sind zusammengesetzt aus Schaufensterpuppen, Schaumstoff, Prothesen und warten auf gemeine Gynäkologen. Aus einer Nische schaut das Bild eines Karpfenkopfs: »Wenn ich einen Fisch esse/ Karpfen besonders/ Denke ich meistens bewundernd/ Dieser sprach nie/ Dieser genüßliche Mund/ sucht den Schlamm ab/ Und schwieg.« Kleine Weihnachtsbaumlichter erhellen Morbides. Hinter Gittern in einem Raum will dich ein psychedelisches Horrorfilmensemble in seine Wirklichkeit ziehen. In Aquarien leuchten abgeschnittene Finger und Köpfe.
Man geht durch das Haus wie durch einen Traum; der Künstler, der einen führt, nimmt einem ein wenig die Angst, die man allein hätte. Irgendwo hört man immer gleichförmige Trommelschläge. Wie in Bergmanns siebtem Kreuz wartet halb verborgen der bleiche Tod. Neben einer bleichen Figur, deren Beine sehr lebendig wirken und die von einem alten Plattenspieler angetrieben die Trommel schlägt, weiß man plötzlich für einen Augenblick nicht mehr, ob man wach ist oder sich nicht vielmehr in einem merkwürdigen Traum verlaufen hat. »Ich habe etwas im Kopf/ davon ich Euch nichts sagen will«, sagt ein Bild und der Kopf öffnet sich vaginal und zwei Männchen huschen in's Ungewisse. Einer hängt an der Decke und reitet auf seinem hölzernen Steckenpferd. Gleich wird er lebendig werden. Es ist kalt. Auf den Bäumen wachsen Schrumpf- und Puppenköpfe. Die »Liebe« ist ein leerer Stuhl mit spitzen Nägeln.
Still, denn die üblichen Sätze, die sich beurteilend im Kopf formulieren, klingen zu blöde, ist man begeistert über die Inszenierungen, deren Teil man eine Zeitlang wird.
Und danach gibt es im Café der Dunckerstraße wunderbar duftende Waffeln und Glühwein. »Kunst ist halt 'ne Reflexion der Gesellschaft, und deshalb ist das so ausgefallen«, meint Hackepeter, der seit sechs Jahren in besetzten Häusern wohnt und seinen Namen auf einem Schild mal in einer Mülltonne fand. »Würde ich woanders leben, hätte ich auch was anderes gemacht. Wir leben nicht in der Welt, die da draußen ist. Wir leben in der Welt, wo man sich sein Fressen aus dem Container zusammensucht. Wie 'n Penner — so einen sozialen Status haben wir. Am wichtigsten ist es, daß wir authentisch sind. Wir machen zeitgemäße Kunst. Wir verniedlichen nichts. Auf eine Art ist das auch proletarische Kunst, denn wir gehen davon aus, daß es die Aufgabe des Künstlers ist, was hinzustellen, was dann die Massen zu 'ner neuen Gesellschaft führt. Unsere Sachen sind natürlich nicht so einfach. Wir wollen nicht durchschaubar sein, wollen den Leuten keine Innereien zum Fraß hinwerfen, sondern das sind auch ein paar Sachen, worüber man nachdenkt. Es ist eine Art Verherrlichung des Alltags oder Mystifizierung des täglichen Lebens.«
Das tägliche Leben für die BewohnerInnen in der Dunckerstraße 14/15 wird sich allerdings in nächster Zeit wohl schwieriger gestalten. Zwar gibt es ein »S.T.E.R.N.«-Gutachten, das für den Erhalt der baupolizeilich gesperrten Gebäudeteile plädiert, in der Bezirksverordnetenversammlung ist man eher für Sanierung oder Renovierung. Die benachbarten Geschäfte haben Solidaritätsadressen für die Dunckerstraße unterschrieben und die Kiezbewohner sind solidarisch. Doch die WIP möchte am liebsten räumen lassen. Detlef Kuhlbrodt
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