Das Gipfeltreffen der Genialistinnen

Bundesdeutsche Fußballerinnen erreichten ungeschlagen und ohne ein einziges Gegentor das WM-Viertelfinale  ■ Aus Zhongshan Hagen Boßdorf

Vor diesem Spiel kletterten die Schwarzmarktpreise in der provinziellen Millionenstadt auf die Höhe eines chinesischen Monatsgehalts. 200 Yuan für ein Ticket, das sonst acht bis fünfzehn Yuan (drei Mark) kostete.

Die Fußballfreaks aus allen Provinzen der Volksrepublik waren so überzeugt wie vom Sozialismus: Das ist ein Spitzenspiel. Dieses Spiel hieß gar nicht Bundesrepublik Deutschland gegen Italien. Es hieß Mohr gegen Morace. Es war das Gipfeltreffen der beiden talentiertesten, erfolgreichsten und vielbeschriebensten Angriffsspielerinnen dieser Fußball- Weltmeisterschaft.

Carolina Morace schlüpfte als 14jährige Frau erstmals ins italienische Nationaltrikot. In den letzten 13 Jahren hat die Mailänderin in 94 Länderspielen 66 Tore erzielt. Eine Gerd-Müller-Traumquote im Frauenfußball, die sie in China bereits zur balltretenden Legende machte. Moraces vier bisherigen WM-Toren widmete die chinesische Sportpresse genauso ausführliche Schilderungen wie den vier Treffern des „blonden Goldlöwen“.

So nämlich wurde die blonde Heidi Mohr von ihren Fans in der Volksrepublik getauft. Die Neukirchnerin traf in ihren 39 Länderspielen 25 Mal. Damit steht sie im Frauenfußball noch im Schatten von Carolina Morace, die in Kürze als erste Spielerin der Welt ihr 100. internationales Match bestreitet. In China hat Heidi Mohr allerdings entscheidend aufgeholt: Sie entschied das Prestigespiel der BRD gegen Italien im torgefährlichen Alleingang.

In der 67. Minute trudelte der Ball von Roswita Bindl getreten durch den italienischen Strafraum. Als ihn noch keiner wahrnahm, war Heidi Mohr schon zur Stelle. In diesem Augenblick wird die schüchterne Person wild entschlossen: Ballannahme, Drehung, Schuß — sekundenschnell. Dann Jubel — etwas länger. In der 80. und letzten Minute schließlich wollten die italienischen Abwehrspielerinnen zum Abpfiff gemächlich nach vorne spazieren. Dabei wurden sie gestört: von Heidi Mohr. Der Ball kullerte zu Britta Unsleber, der ein Jahrhundertschuß gelang. Aus 35 Metern segelt die Kugel über Italiens hervorragende Keeperin hinweg ins Tor. BRD — Italien 2:0, Mohr — Morace 1,5:0.

Die DFB-Spielerinnen überstanden die Vorrunde als einzige Mannschaft ungeschlagen und ohne Gegentor. Der Wunsch von Bundestrainer Gero Bisanz: „Im Viertelfinale bitte einen europäischen Gegner“, wurde dem Europameister mit Dänemark auch noch erfüllt. Ein Spaziergang ins Halbfinale erwartet einzig die USA-Soccerinnen mit dem Spiel gegen Chinese-Taipeh. Die Spielerinnen von der chinesischen Insel demonstrierten in der Vorrunde die Minimalvariante, fanden gegen Deutschland (0:3) und Italien (0:5) nicht einmal die Spur einer Chance, aber ein 2:0 gegen die bedauernswerten Nigerianerinnen reichte zu einem Platz unter den besten acht.

Vor fünf Jahren galt Chinese-Taipeh noch als der Geheimfavorit des Frauenfußballs. Ein Turnier mit allen Topmannschaften gewannen die Asiatinnen im eigenen Land. Von einstiger Spielstärke ist nichts mehr übrig. Mit viel Mühe und Glück im Elfmeterschießen gegen Nordkorea qualifizierte sich Chinese-Taipeh bei den Asienspielen für die erste Frauen-WM. Das Glück blieb an ihrer Seite. Aber die Genossen aus der Volksrepublik mit Schrecken feststellen mußten, daß der Ball die technische Fertigkeiten ihrer chinesischen Schwestern entschieden überforderte. Erst rüde Fouls und ein chaotisches Angriffsspiel verunsicherten die afrikanischen Meisterinnen aus Nigeria so sehr, daß sie trotz athletischer Vorteile mit 0:2 verloren.

Mehr als das Viertelfinale trauen sich aber auch die Taiwanesinnen nicht zu. Ihre Hotelbuchungen enden am Sonntag. Genauso wie die der dänischen Spielerinnen, dem Gegner der bundesdeutschen Elf...

Zuschauer: 12.000, Tore: 1:0 Mohr (63.), 2:0 Unsleber (80.).

Gruppe B: Japan — USA 0:3, Brasilien — Schweden 0:2; Tabelle: 1. USA 6:0; 2. Schweden 4:2; 3. Brasilien 2:4; 4. Japan 0:6.

Gruppe C: Deutschland — Italien 2:0, Taiwan — Nigeria 2:0; Tabelle: 1. Deutschland 6:0; 2. Italien 4:2; 3. Taiwan 2:4; 4. Nigeria 0:6.

Die Viertelfinal-Paarungen am Sonntag: China — Schweden, Norwegen — Italien, Deutschland — Dänemark, USA — Taiwan.

BRD: Isbert — Unsleber, Austermühl, Fitschen, Voss, Wiegmann, Mohr, Bindl, Paul, Gottschlich (71. Wendt), Hengst (41. Kuhlmann)

Gruppe A: China — Neuseeland 4:1, Norwegen — Dänemark 2:1; Tabelle: 1. China 5:1; 2. Norwegen 4:2; 3. Dänemark 3:3; 4. Neuseeland 0:6.