Schönheitsoperation Olympia

Stadtplanung in Barcelona: Vorbild, aber nicht Beispiel für Berlin. Eine Ausstellung.  ■ Von Lilli Thurn und Taxis

Olympia repariert desolate Städte, schafft neue Verkehrsnetze, beflügelt Investoren, ist überhaupt das größte Glück, das einer Stadt widerfahren kann. Für den nächsten Bewerbungstermin Olympia 2000 bewerben sich Sidney, Peking, Mailand, Manchester, Brasilia, Toronto, Istanbul und Berlin. Flugs hat die Stadt eine „Berlin 2000 Olympia GmbH“ gegründet, die kräftig die Werbetrommel rührt.

Eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie im Martin-Gropius- Bau zeigt, was — dank Olympia 1992— aus dem Austragungsort Barcelona geworden ist. „Barcelona — Architektur — Olympia“, Titel der Ausstellung, soll nun auch die letzten Zweifler überzeugen. Die Parallelen, heißt es auf der Pressekonferenz, seien nicht zu übersehen, seien doch beide Großstädte im 19. Jahrhundert entstanden und hätten beide Zeiten der städtebaulichen Unterentwicklung durchlebt: gemeint ist die „Hauptstadt“-Epoche Ost- Berlins und der zentralspanische Franquismus.

Dabei läßt die Olympia-Lobby gerne außer acht, daß man in Barcelona bereits seit 1979, mit der Einführung des ersten demokratischen Stadtparlaments, in Sachen Stadterneuerung aktiv war, Berlin dagegen, was die Planungen für Ost- und Westteil betrifft, noch am Anfang ist.

Was ist in Barcelona seither tatsächlich geschehen? Kleine punkturelle Eingriffe standen am Anfang: Plätze und Straßenzüge sollen den Charakter der einzelnen Stadtviertel stärken. Größere Umstrukturierungsmaßnahmen, die Einbeziehung von vier brachliegenden Zonen in der Peripherie durch einen Autobahnring, wie die Umkehrung der Südwest-Ausdehnung in eine Nordost-Ausdehnung, die Ausweitung der Stadt zum Meer hin erfolgten dann ab Mitte der achtziger Jahre. Dazu kamen Verkehrs-, Kultur- und natürlich Sportbauten mit den dazugehörigen Wohnanlagen. Insgesamt sind nur 10 Prozent der Gesamtbausumme für Olympia ausgegeben worden, der Rest für die Stadt und ihre Infrastruktur. Bei der Finanzierung lag der Anteil der Olympia-Holding bei vier Prozent, der des privaten Sektors bei 45 Prozent, die restlichen 51 Prozent teilte sich die spanische Regierung mit den Stadt- und Regionalregierungen je zur Hälfte. Für die Stadterneuerungsmaßnahmen erhielt Barcelona den internationalen Prince-of-Wales-Preis für Städtebau der Harvard University.

Barcelona, die lebendige, elegante Stadt am Meer, immer die Nummer zwei (nach Madrid), bot — im Gegensatz zu Berlin — ein einheitliches Bild. Mitte des 19. Jahrhunderts nach den Plänen Ildefonso Cerdàs erweitert, ist die Stadt geprägt von der schachbrettartigen Bebauung, quadratischen Blocks mit den typischen abgeschrägten Ecken, die aus jeder Kreuzung einen kleinen Platz machen. Die Veränderungen in Barcelona gleichen eher geringfügigen kosmetischen Eingriffen an einer alternden Beauty, die sich über längere Zeiten zu pflegen vernachlässigt hat. Berlin dagegen hat etwas von einem Unfallpatienten, dem die Chirurgen in unzähligen Operationen zu einem neuen Gesicht verhelfen müssen.

Indem man, in Barcelona, die Eisenbahn unter die Erde legte, wurden neue Stadträume geschaffen, in Wohnanlagen, Parkhäuser und Parks umgewandelt, wie zum Beispiel der Parc del Clot. Ein rechteckiger Platz in Größe eines Fußballstadions etwa, an drei Seiten von kulissenartigen Fassadenscheiben begrenzt, wird von zwei Gerüstkonstruktionen diagonal durchschnitten. Ein wenig Rasen — eher die Ausnahme in spanischen Parks—, sonst Sandflächen mit vereinzelten Bäumchen. Viel Mut zum leeren Raum zeigen die Platzgestalter Barcelonas: keine Poller, Mäuerchen, Beete, Brunnen und Pflasterkompositionen, wie sie in deutschen Städten so beliebt sind. Platzmöblierung ist hier nicht angesagt.

Genau diese kargen, „ungemütlichen“ Platzgestaltungen werden von der Olympia-Gesellschaft hoch gerühmt und den Berlinern wärmstens ans Herz gelegt. Dabei steht allerdings zu befürchten, daß die großzügig angelegten Straßen- und Platzräume, wie gehabt, bepollert und beschwellt, jedes freie Ecklein mit Grünzeug fleuropisiert würde.

Aber nicht nur Plätze und Straßen hat Barcelona bekommen, sondern auch neue Ringstraßen — „Tempo100— ick glob, ick spinne“ —und einen zusätzlichen Bahnhof. Auch den Großflughafen hat man nicht vergessen und dafür keinen geringeren als Ricardo Bofill beauftragt. Herausgekommen ist ein erstaunlich nüchterner Zweckbau, der nicht im entferntesten an die gigantomanischen Kulissenbauten Bofills erinnert, wie man sie aus der Pariser Peripherie kennt, zum Beispiel „Le ThéÛtre“ in Marne-La-Vallée. Auch aus der „Taller“, der Werkstatt Bofills, stammt die neue Sporthochschule „Infec“, die sich übrigens in ihrer martialischen Haltung hervorragend auch in das berlinische „Reichssportfeld“ eingliedern würde. Das Stadion der Olympischen Spiele von 1936 soll übrigens dann, 64 Jahre später, sein olympisches Revival erfahren. „Schließlich spart es eine Menge Geld, wenn wir kein neues Stadion bauen müssen“, sagt lapidar Jürgen Kiessling, Geschäftsführer der Berlin 2000 Olympia GmbH.

In Barcelona wurde vom alten Stadion nur die etwas maurisch angehauchte Hauptfassade belassen, die wie eine Kulisse vor dem sonst eher pragmatisch modernen Stadion der Architekten Gregotti, Correa, Milà, Biuxadé und Margarit steht. Daneben wirkt das Sportstadion „Palau Sant Jordi“ von Arata Isozaki, das an ein bruchgelandetes Flugobjekt erinnert, erst recht wie aus einer anderen Welt.

Um dem Rest der Welt die störungsfreie Übertragung des Spektakels zu garantieren, beauftragte man Norman Foster und Santiago Calatrava mit dem Entwurf für zwei Fernmeldetürme, zwei vollkommen unterschiedliche Varianten zum Thema Sendemasten.

Richard Meier entwarf ein „Museum für zeitgenössische Kunst“, wie erwartet als weiße Kiste mit vielen Durchbrüchen und Durchdringungen. Viel überzeugender aber wirkt die Schlichtheit des „Städtischen Auditoriums Barcelona“ (von Rafael Moneo), gerade im Vergleich mit der Meierschen Spielkiste.

Ohne Zweifel, Olympia hat Barcelona Architektur der Weltklasse gebracht, die Stadt boomt und wird im nächsten Jahr das Gesprächsthema sein. Die Schöne ist in den Jungbrunnen gefallen — allerdings auch auf Kosten derer, die aus den neubebauten oder umstrukturierten Gebieten verdrängt werden, die aufgrund der immens steigenden Mieten sich soviel Schönheit nicht mehr leisten können.

Wo aber sind die Parallelen zu Berlin, von denen alles spricht? Berlin braucht keinen Anstoß, muß nicht erst erweckt werden. Schon heute fehlt für außerordentliche Projekte das Geld: der Bau des Jüdischen Museums allein hätte angeblich Stadt und Land ruiniert. Ein Richard-Meier-Prestige-Museum wäre schließlich kein Geschenk der Veranstalter. Nach dem Barcelona-Modell müßten die Stadt Berlin und das Land Brandenburg etwa ein Viertel der Gesamtkosten tragen.

Die Kassen sind leer, der Umzug aus Bonn steht ins völlig unvorbereitete Haus, dennoch hält man an der Olympia-Idee fest. Wollte man — analog zum Modell Barcelona — einer Stadt mit traditioneller Substanz zu neuem Glanz verhelfen, es wäre besser als Berlin gewiß: Budapest oder Prag.

Die Grundvoraussetzung für große Planungen ist in Berlin längst nicht gegeben: die „Stadtidee“ fehlt, ohne die Investitionen erheblichen Schaden anzurichten drohen. Das kleine Beispiel Potsdamer Platz hat wohl bewiesen, daß Wettbewerbsergebnisse, die ohne Grundkonzeption in kürzester Planungszeit entstehen mußten, nicht konsensfähig sind.

Barcelona — Architektur — Olympia . Ausstellung in der Berlinischen Galerie im Martin-Gropius-Bau, Berlin, bis zum 29. Dezember.