Hysterie bei fünfzehn Hertz

■ Gabi Delgado und Saba Komossa geben Tekkno ein Gesicht/ Mit »Subliminalfrequenzen« zielt das Paar direkt auf das Unterbewußtsein der Discogänger / »Tekkno ist eine extrem deutsche Musik«

Zweifellos hat auch die Tekkno- Szene ihre Größen, doch wer sich hinter den einzelnen Projekten, deren Namen man sich häufig beim besten Willen nicht merken kann, verbirgt, ist oft nur Insidern bekannt. In der Welt der gesichtslosen DJ-Musik gehen Delkom einen Schritt weiter: Sie geben Tekkno ein Gesicht. Sabas Wangenknochen und ihre üppigen aufgeworfenen Lippen vergißt man ebensowenig wie Gabis Samtaugen. Die Femme fatale und der Latin Lover — beruflich und privat die perfekte Kombination.

Kennen lernten sich Gabi Delgado, dessen Gruppe DAF (Tanz den Mussolini) Anfang der Achtziger ein internationales Aushängeschild der deutschen Musikszene darstellte, und Saba Komossa 1986 im nächtlichen Rotlicht des Berliner Szene-Lokals »Potsdamer Abkommen«. Für den Anfang blieb es bei einem intensiven Blickkontakt, der weiteren Entwicklung half der Zufall auf die Sprünge: Als Gabi am nächsten Tag bei einer Bekannten etwas abholen wollte, öffnete zu seiner Überraschung Saba — ungeschminkt und im Morgenmantel. Prompt wurde aus der Begegnung Leidenschaft, und das Paar zog sich für ein Jahr zurück, um sich selbst zu erforschen und Ideen für gemeinsame Projekte zu entwickeln. Das Ergebnis ist Delkom, das Paar als kleinste produktive Einheit, ein Team, das so weit aufeinander eingespielt ist, daß häufig einer den begonnenen Satz des anderen zu Ende führt. Selbst das Lachen der beiden scheint synchron.

Von der Musikproduktion bis zum Image haben Gabi und Saba alles unter Kontrolle. Auf den hauseigenen Labels Delkom Club Control und BMWW veröffentlichen sie eigene und fremde Produktionen, die derzeit kometenartig in den Tekkno- Charts nach oben schießen.

»Wir haben eine völlig andere Struktur als andere Unternehmen der Branche. Wir sind zwei Personen, die funktionieren wie ein Konzern. Wir sind Produkt, Manager und kreativer Part in einem. Unser Konzept ist der ‘transparente Popstar‚, der autark entscheidet und keine Kompromisse eingehen muß. Dadurch können wir schneller und effizienter arbeiten. Auf der anderen Seite heißt das natürlich, daß wir auch das Risiko allein tragen. Aber Entscheidungen fällen wir immer zwei zu null. Wenn einem etwas nicht paßt, lassen wir es. Es gibt etwas, das wir ‘corporate brain‚ nennen. Die meisten Dinge müssen wir gar nicht aussprechen.«

Instrumente und das Konzept einer Band finden die beiden altmodisch und überflüssig. »Heutzutage kann man von der Grundidee bis zum fertigen Stück alles am Computer ausarbeiten und ohne klangliche Verluste eine Veröffentlichung vorbereiten.«

Tekkno-Musik, so glauben die beiden, beginne gerade sich durchzusetzen und sei der erste große Trend der neunziger Jahre: »Langsam kommen die Tekkno-Stücke in die Charts, und es ist zweifellos der größte Trend seit Punk. Interessanterweise hat es weder etwas mit England zu tun, noch ist es schwarze Musik wie etwa Soul. Ich würde fast sagen, es ist eine extrem deutsche Musik. Das Moderne ist vor allem, daß Tekkno keine Ideologie mitliefert und nicht auf Inhalte zielt.«

Ihre Musik soll sich direkt an das Unterbewußtsein richten, sagen sie. Tekkno, das sei Tanz und Musik »als Droge«. Die Schlüsselbegriffe, die Gabi und Saba nennen, sind Ablenkung, Aufregung und Ermutigung. »Man entäußert sich und macht sich leer, um sich nachher wieder neu zu gestalten. Wir experimentieren auch im manipulativen Bereich. Subliminals sind Frequenzen, die man nicht hört, die aber direkt auf das Unterbewußtsein wirken. Zum Beispiel wird man bei sechs Hertz geil und bei fünfzehn hysterisch. Gerade bei Auftritten kann man so die Stimmung kontrollieren.«

Auftritte von Delkom, die in Form von Tanzpartys ablaufen, füllen mittlerweile mühelos große Säle. An die 1.500 meist minderjährige Fans tanzten sich etwa im Quartier buchstäblich die Seele aus dem Leib. Auch live setzen Gabi und Saba auf Technik. Hinter ihren Computern kreieren sie die Stücke des Abends. Zwei Drittel spielen sie live, Versatzstücke von Platten werden untergemixt. Schweißüberströmt johlen die tanzsüchtigen Teenager, wenn die neueste Veröffentlichung von Delkom aus den Boxen dröhnt. Der Titel trifft das Gefühl: Viva la Droga electronica! Martin Schacht