Nashörner ohne Hörner

Okaukuejo (taz) — In aller Seelenruhe rupft das ausgewachsene Nashorn Blatt für Blatt von einem Dornenstrauch. Das massive Tier läßt sich nicht durch das Flutlicht stören, das die Wasserstelle des Lagers Okaukuejo in Namibias „Etosha National Park“ nachts anstrahlt. Bis auf wenige Meter nähert es sich der Begrenzungsmauer und läßt auch das Blitzlichtgewitter der Kameras von mehreren Dutzend Touristen ohne Regung über sich ergehen. Den Besuchern bietet sich in doppelter Hinsicht Besonderes: In Namibia gibt es nur noch knapp 500 der sogenannten „Schwarzen Rhinos“ — und die wenigsten tragen noch ihre berühmten Hörner.

Weil sie pulverisiert, so der weitverbreitete Aberglaube im fernen Orient, Potenznöte beseitigen, stellen Wilderer den Nashörnern ohne Unterlaß nach. Namibias Wildhütern kam daher die Idee, den Nashörnern die Hörner abzusägen. Sie betäubten die Tiere, und innerhalb von zehn Minuten säbelten sie mit einer Holzsäge den meisten Rhinozerossen die Hörner weg.

Bei einer Tagung, die Anfang November in Namibias Etosha National Park stattfand, einigten Wissenschaftler sich schnell, daß nach der „Enthornung“ der Nashörner bisher keine negativen Folgen beobachtet wurden. Das soziale Verhalten der tonnenschweren Tiere änderte sich nicht, und auch bei der Begattung klappt nach Beobachtung der Wissenschaftler alles wie gehabt. Freilich ist es noch zu früh für ein abschließendes Urteil der Überlebenschancen des Nachwuchses. Normalerweise kommen etwa 50 Prozent der jungen Nashörner durch. Angreifende Wildtiere wie Löwen vertrieben die Nashorn-Mütter in der Vergangenheit unter Einsatz des spitzen Hornes.

Dennoch hat die Methode bereits Nachahmer gefunden. In Simbabwes Hwange National Park, dem unter Touristen beliebtesten, bietet sich Besuchern nun ebenfalls zunehmend ein eher seltsames Bild in der freien Wildbahn: Nashörner ohne Hörner, aber mit großen Ziffern in weißer Farbe und einer silberglänzenden Marke im Ohr. Was für die „schwarzen Nashörner“ in Namibia recht war, soll für die bis zu einer halben Tonne schwereren „weißen Rhinos“ billig sein: Die etwa 2.000 Tiere, die es in Simbabwe gibt, sollen so vor Wilderern geschützt werden. Nach Angaben der Behörden des afrikanischen Landes operieren insgesamt fünf Banden, die vorwiegend aus dem benachbarten Ausland in die Nationalparks eindringen. In einem Park an der Grenze zu Sambia erklärte gar ein Ranger: „Manchmal könnte man hier glauben, wir hätten Krieg.“

Doch Mike Koch, der zuständige Veterinär von Simbabwes Abteilung für Nationalparks, erlebte während des letzten Jahres einige herbe Rückschläge. Fünf der 70 enthornten Tiere starben, weil sie zu lange betäubt waren. Denn was bei den „schwarzen Rhinos“ mit der Holzsäge eine Sache von zehn Minuten ist, ist bei den „weißen“ Artverwandten mit ihren härteren Hörnern viel schwieriger. Inzwischen hat Koch umgerüstet. Er geht den Tieren mit einer Kettensäge ans Gehörn.

Die weißen Nashörner sind, weil sie schwerer sind, zudem weitaus empfindlicher für Betäubungen. Der Tierarzt rückt inzwischen nicht mehr ohne ein Gegenmittel aus, um im Krisenfall schnell eingreifen zu können. 350 Tiere will der Veterinär im kommenden Jahr enthornen — und wenn sich das Experiment als erfolgreich herausstellt, werden bald wohl alle Nashörner einer kosmetischen Operation unterzogen. So könnte nicht nur das Überleben der „Panzer auf vier Beinen“ gesichert werden.

Simbabwes geldschwache Nationalpark-Abteilung könnte mit dem Verkauf von Rhinohörner so auch die Mittel abschöpfen, die bisher in die Taschen von unlauteren Wilderern fallen. Namibia und auch Südafrika haben bereits Interesse bekundet, ähnlich zu verfahren — zumal die Hörner nach bisherigen Erfahrungen jährlich um sechs bis sieben Zentimeter nachwachsen. Willi Germund