INTERVIEW: Slowenischer Frühling ade
■ Im Land entstand während des Krieges eine neue, moderne Rechte
Rastko Mocnik ist Professor für Soziologie an der Universität von Ljubljana und Vorsitzender der Slowenischen Sozialdemokratischen Union (SDU). Er war ein ausgesprochen linker Kritiker des kommunistischen Systems vor und während der Zeit des „slowenischen Frühlings“ ab Mitte der achtziger Jahre. Im Gegensatz zu vielen anderen ist er weiterhin in Opposition zu der heutigen Koalitionsregierung, die im April 1990 in Slowenien gewählt worden ist.
taz: Seit dem Krieg im Juni 1991 in Slowenien hört man nur noch wenig über die kleine nördliche Republik, die die jugoslawische Volksarmee beschämt hat. Slowenien war eines der friedlichsten Länder in Europa. Noch vor einem Jahr wünschten sich über 80 Prozent die Demilitarisierung der gesamten Region. Wie hat der Krieg die politische Kultur und die Machtstrukturen beeinflußt?
Rastko Mocnik: Der Krieg in Slowenien war vor allem ein Medienkrieg, der von den Hardlinern in der Regierung mit beträchtlichem Geschick dazu benutzt wurde, die internationale wie auch die nationale öffentliche Meinung für die eigene Politik zu gewinnen. Die Glaubwürdigkeit der Friedensbewegung und der fundamental-oppositionellen Kräfte in Slowenien wurde stark beschädigt, während die Architekten des Krieges, nämlich Verteidigungsminister Janez Jansa, Innenminister Igor Bavcar, Informationsminister Kacin, aber auch Außenminister Dimitrij Rupel, plötzlich zu internationalen Helden wurden.
Die Entwicklung jedoch, die am meisten Sorgen bereitet, ist die Formierung einer modernen rechten Partei um diese genannten Personen herum, die nun plötzlich bei Meinungsumfragen an zweiter Stelle liegen. Jansa, Bavcar und Kacin präsentieren sich als Liberale und nennen sich selbst „Demokratische Partei“. Was sie in Wirklichkeit aber getan haben, ist, den rechten Flügel des politischen Spektrums zu modernisieren. Diese neuen Führer sind intelligent, Upper-Class-Apparatschik-Typen mit einer soliden Ausbildung. Darin unterscheiden sie sich vom primitiven und provinziellen Populismus anderer nationalistischer Strömungen, die ja fast überall in Jugoslawien und auch in vielen Teilen Osteuropas die politische Landschaft beherrschen. Die moderne Rechte in Slowenien ist effektiv und hat ebenso repressive Züge, allerdings handelt es sich dabei um einen viel geschickteren Totalitarismus als den der alten Rechten.
Was macht denn diese „Yuppie War Boys“ eigentlich so attraktiv?
Nehmen wir als Beispiel die Militarisierung Sloweniens, die seit dem Ende des Krieges emsig betrieben wird. Sie wird mit den Adjektiven effizient, billig und westlich belegt. Slowenien ist dabei, eine sehr schlagkräftige, technisch fortgeschrittene Armee aufzubauen, die einem nach Modernisierung strebenden Bewußtsein bestimmter Mittelschichten entspricht. Der Krieg wurde letztlich dazu benutzt, die Militarisierung der Gesellschaft zu rechtfertigen. Damit zusammen hängt die Selbstdefinition Sloweniens als „Gendarm des europäischen Hauses“, einem Wachhund an der Tür nach Süden und Osten. Die neue Grenze hin zu Kroatien bildet eine Möglichkeit, dies zu beweisen: Die Grenzwachen haben schon afrikanische und asiatische Flüchtlinge zurückgewiesen. In der slowenischen Öffentlichkeit hat dies keine Entrüstung ausgelöst, im Gegenteil: Teil dieses westlichen Europas zu sein, macht stolz.
Die altmodischen Nationalisten sind tolpatschig, und das macht ihre Gefährlichkeit aus. Und die modernen Rechten sind gefährlich, weil sie ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen. Sie spielen — etwa mit Kroatien — ein sehr gefährliches Spiel, indem sie Kroatien bei dem Versuch, den Krieg weiterzuführen, ermutigen. Und sie unterstützen damit eine Tendenz hin zur Militarisierung und damit zu einem Totalitarismus in der kroatischen Gesellschaft. Sie sind effektiv im Rahmen ihres eigenen Horizonts, doch der ist begrenzt.
Gibt es ähnliche Kräfte in anderen Teilen des alten Jugoslawiens?
Ja, eine ähnliche Tendenz kristallisiert sich in Kroatien um die „Kroatische Volkspartei“ heraus, die im Augenblick Präsident Tudjman von rechts her kritisiert. Es ist die Partei, die von Frau Dapcevic-Kucar angeführt wird. Kroatiens Niederlagen an der Front haben Tudjmans Machtbasis erschüttert und sie anfällig gegenüber den modernen rechten Kräften wie auch den traditionellen Rechtsradikalen gemacht. In Serbien hat die liberal orientierte „Demokratische Partei“ dieses Vakuum aufgefüllt. Sie hat sich jedoch sehr eng an das Regime von Milosevic angeschlossen, das nach einem Großserbien strebt. Selbst Topintellektuelle der „Demokratischen Partei“ Serbiens glauben jetzt, daß es keine Alternative zur Neudefinition der Grenzen zwischen den Republiken gäbe. Sie akzeptieren die Schaffung unabhängiger Nationalstaaten mit einer homogenen Bevölkerung, was ja unter den gegebenen Umständen sogar den Austausch von Bevölkerungen bedeuten würde.
Das ist eine tragische Situation, selbst unterstellt, es würde funktionieren. Ich persönlich glaube nicht daran, daß man eine Linie ziehen und auf der einen Seite die Serben und auf der anderen Seite die Kroaten ansiedeln könnte: Dann hätte man eine Grenze wie zwischen Pakistan und Indien und weiterhin eine Frontlinie für den nächsten Krieg.
So modern ist diese moderne Rechte in Serbien also nicht, wenn sie sich auch stark anlehnt an die Regierung mit ihrem altertümlichen Nationalismusbegriff.
Der Schlüssel für eine Friedensregelung liegt weiterhin in Serbien. Die Voraussetzung, daß sich überhaupt etwas in Richtung auf einen Frieden bewegen kann, ist die Entmachtung des serbischen Präsidenten Milosevic. Die politische Szenerie würde sich in Serbien, aber auch in den anderen Republiken schlagartig verändern. Aber dieser Umschwung ist nicht in Sicht.
Leider scheint auch die jugoslawische Friedensbewegung nicht in der Lage, den Lauf der Dinge im serbokroatischen Krieg entscheidend zu beeinflussen.
Am stärksten ist die Friedensbewegung in Bosnien, wo auch ein Teil des Establishments für die Friedensbewegung votiert. Möglicherweise hat die Friedensbewegung auch Einfluß in Montenegro, weil Montenegro klein ist, die Kommunikation ist dort leichter. Immerhin mußten die Montenegriner schwere Verluste im Kampf um Dubrovnik bringen, die Ökonomie liegt darnieder. Vielleicht ist deshalb auch zu erklären, warum die montenegrinische Politik kürzlich zögerte, weiter mit Belgrad zu paktieren.
Die Friedensbewegung hat eine gewisse Stärke in Belgrad, weil Belgrad eine Metropolis ist. Tausende von jungen Männern wehren sich dagegen, von der Armee eingezogen zu werden. Obwohl sie zahlenmäßig nicht sehr stark ist, hat die Friedensbewegung in Belgrad nicht aufgegeben und ist täglich präsent. Sie ist ein Potential, das eines Tages möglicherweise auch stärkere Unterstützung aus der Bevölkerung erhält. Ein Anzeichen dafür ist, daß sich der serbische Nationalist Vuk Draskovic in einer dramatischen Kehrtwendung gegen den Krieg ausgesprochen hat. Und da Draskovic ein Populist ist, könnte dies als Zeichen für einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung angesehen werden. In Zagreb habe ich den Eindruck, daß die Friedensbewegung angesichts des Krieges am Boden ist und nur noch Optionen für die Zukunft offenhalten kann.
Ist denn die Friedensbewegung nicht auch deshalb schwach, weil sie nicht in der Lage ist, einen politisch realistischen Ausweg aus dem Krieg zu weisen? Muß sich angesichts der Modernisierung von Teilen der Rechten nicht auch die Linke modernisieren?
Sicherlich, dies ist ein Projekt, an dem ich in Slowenien arbeite. Eine moderne linke Alternative liegt in der Formulierung eines umfassenden demokratischen Reformprojekts, das die sozialen Interessen im Rahmen der notwendigen Wirtschaftsreformen mit tiefgreifenden Demokratisierungen der Gesellschaft verbindet. Darüber diskutieren wir in Slowenien.
Interview:
Paul Hockenos / Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen