„Volle Kraft zurück“

■ Aus der tönenden Welt Andrej Tarkowskis: Sein einziges Hörspiel sendet HR2 heute um 21Uhr

Als Andrej Tarkowski 1964 mit der Arbeit an seinem einzigen Hörspiel begann, interessierten ihn daran hauptsächlich drei Dinge: die literarische Vorlage (William Faulkners gleichnamige Erzählung), die Wiederentdeckung der von der stalinistischen Kulturdiktatur totgeschlagenen radiophonen Kunst und, last but not least, die Möglichkeit, sich mit dieser Rundfunkarbeit für sein nächstes Filmprojekt Andrej Rubljow den Rücken freizuhalten.

Der junge Regisseur war 1962 in Venedig mit seinem Erstlingsfilm Iwans Kindheit zu internationalem Ruhm gekommen und befürchtete, daheim in die Mühlen des staatlichen Kunstpragmatismus zu geraten. Tarkowski aber brauchte Zeit und einen freien Kopf für seine Arbeit. Sein leidenschaftliches Interesse galt einer Befreiung der Kunst von jedweden praktischen Anforderungen, sein Leben lang verfolgte er die Utopie, mit seinen Filmen die verschüttete geistige Kraft des Betrachters anzuregen. Daß er die „tönende Welt“ als entscheidend für die Übertragung jener geistigen Energie betrachtete, belegen die musikalisch-poetischen Tonspuren von Tarkowskis Filmen.

So war es denn mehr als nur routinierte Auftragsarbeit, als sich der Regisseur an die akustische Umsetzung der Faulkner-Novelle machte. Der literarische „Rohstoff“ war äußerst heikel — weil US-amerikanisch und pazifistisch — und sorgte seinerzeit nicht nur in Moskaus Künstlerkneipen für einiges Aufsehen.

Volle Kraft zurück erzählt die Geschichte eines modernen „Parzival“, des britischen Leutnants Hope, dessen jugendliche Hoffnung und Unschuld die absurden Gesetze des Ersten Weltkrieges nicht überstehen. Wie schon in seiner Figur des Jungen Iwan, spiegelt sich auch hier Tarkowskis Auffassung, daß die Kinder stets für die Sünden der Erwachsenen zahlen.

Die Erlebnisse des lebensfrohen Hope werden vom amerikanischen Captain Bogart wiedergegeben und enden in dessen bitterer Abrechnung mit den Kriegstreibern, Deutschen wie Franzosen und Briten, die junges Leben sinnlos auslöschen. Wenn Hopes altersschwaches Schiff sinkt, bedeutet das auch das Ende von Bogarts Hoffnung auf eine bessere Welt, die nach menschenfreundlichen Regeln funktioniert. Daß wir von den Kindern lernen können, wird unerreichbare Utopie, da wir sie frühzeitig töten.

Die Stärke von Tarkowskis Hörspiel liegt in seiner expressiven Kraft des ästhetischen Zusammenspiels von Sprache, Musik und Tönen. Es entsteht eine lebendige Aussage von starker emotionaler Überzeugungskraft. So stark, daß Volle Kraft zurück 1965 hinter Schloß und Riegel kam und 1987 erstmalig landesweit in der UdSSR gesendet wurde. Gaby Hartel