Tudjmans Vertrauensverlust

Politische Spannungen in Kroatiens Armee/ BRD will Kroatien und Slowenien anerkennen  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Auf den kroatischen Schlachtfeldern wurde gestern weit weniger geschossen als in den vergangenen Tagen. Aber nicht weil der 14. Waffenstillstand in die Tat umgesetzt wurde, war es ruhiger in den umkämpften Gebieten. Sondern allein aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse und weil alle Kriegsparteien ihre Stellungen militärisch verstärken mußten. Während dessen zog sich in den letzten Stunden der Belagerungsring um die ostslawonische Hauptstadt Osijek gefährlich zusammen. Wer kann, flieht aus der Großstadt. Denn das Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Nationalgarde ist schon lange verschwunden.

Wohl allen hat sich der Fall von Vukovar eingeprägt. Anfang letzter Woche noch forderte Präsident Franjo Tudjman die Einwohner zum Bleiben auf und versicherte, die kroatische Nationalgarde werde die serbischen Angreifer zurückschlagen. Die Menschen in Ostslawonien sind nicht darüber verbittert, daß sie auf dem Schlachtfeld gegen die serbische Übermacht der Bundestruppen unterlagen, sondern über das Verhalten der eigenen kroatischen Regierung. Während in Osijek derzeit selbst Lebensmittel zur Neige gehen, die Strom- und Wasserversorgung gestört ist, lebt man in der Republikshauptstadt, so geht das Gerücht, „in Saus und Braus“. Das sei kein Zeichen von Solidarität, finden die Bewohner von Osijek. Schlimmer aber ist: Seitdem Präsident Tudjman den Oppositionspolitiker Dobroslav Paraga und den ehemaligen Kommandeur der kroatischen Verteidiger von Vukovar, Milan Dedakovic, wegen „Kollaboration mit dem Feind“ verhaften ließ, verstehen die Menschen in Ostslawonien die Welt nicht mehr. Wie immer man zu dem Rechtsaußen-Führer Paraga stehen mag, sicher ist, seine eigene Parteiarmee kämpfte an der fordersten Front von Vukovar, und Dedakovic hat einen hervorragenden Ruf als Verteidigungsstratege. Was den beiden Politikern zum Verhängnis wurde, war, daß sie Tudjman persönlich kritisierten und dessen Rücktritt forderten. Er wisse Kroatien nicht zu verteidigen, lautete ihr Vorwurf. Der Präsident ließ daraufhin beide Politiker, trotz ihrer Popularität, kurzerhand wegen Landesverrats festnehmen. Ein gefährlicher Schachzug. Manche Medien sprechen nun bereits davon, daß Kroatien ein „Bürgerkrieg im Bürgerkrieg“ droht. Daß die Kroaten derzeit in zwei Lager gespalten und uneinig sind, zeigt sich auch auf dem Schlachtfeld: Fast an allen Frontabschnitten weichen die regulären Einheiten der Nationalgarde unter Tudjman vor den immer näherrückenden serbischen Freischärlern zurück, während Paragas Parteiarmee auf eigene Faust zuschlägt. So wird die Situation immer verworrener und eine tatsächliche Waffenruhe immer unwahrscheinlicher. Denn die serbischen Freischärler sehen in Paragas Armee nichts anderes als Neofaschisten, die man mit allen Mitteln, ob dies nun der Genfer Konvention entspricht oder nicht, vernichten müsse. Eine Kriegshysterie, die mittlerweile auch die serbische Hauptstadt Belgrad erreicht hat.

Erstmals seit Ausbruch der Kampfhandlungen Ende Juni (in Slowenien) melden sich plötzlich Tausende freiwillig an die Front. Ein Ziel haben die Militaristen Jugoslawiens zumindest erreicht: Immer mehr Männer haben Blut geleckt und wollen in den Krieg. Dagegen nimmt sich eine Friedenspetition der gesamtjugoslawischen Friedensbewegung geradezu lächerlich aus: Erst 15.000 Menschen unterzeichneten in Belgrad diesen Appell kritischer Intellektueller, den Krieg in Kroatien sofort zu beenden

Beenden will auf alle Fälle die BRD die monatelange Auseinandersetzung um die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens. Außenminister Genscher versicherte gestern vor dem Europarat in Straßburg, daß sofort nach dem EG-Gipfel in Maastricht am 10. Dezember „der Prozeß der Anerkennung“ eingeleitet werde. Voraussetzung sei allerdings ein effektiver Schutz der jeweiligen Minderheiten.