Uncle Sam — das größte Umweltschwein

Berge von Atommüll, Hunderte von verseuchten Militärbasen und die aus Sicherheitsgründen nahezu stillgelegte Atomwaffenproduktion stehen auf der ökologischen Rechnung für 40 Jahre rücksichtsloser Hochrüstung in den Vereinigten Staaten  ■ VON ROLF PAASCH

Noch ehe Präsident Bush seine jüngsten Abrüstungsvorschläge verkündete, rätselten in den USA bereits Wissenschaftler, Ingenieure und Verteidigungsbürokraten, wie sie die atomaren Relikte des Wettrüstens denn aus der Welt schaffen könnten. Nachdem sie die jeweiligen Nachteile aller Entsorgungsmethoden säuberlich aufgelistet hatten, sprach eine Studie des Energieministeriums sogar von einer „allerletzten Möglichkeit“, sich der möglicherweise 50 Tonnen Plutonium an Abrüstungsmüll zu entledigen: durch die kontrollierte Zündung der nuklearen Sprengköpfe auf dem Atomwaffentestgelände in der Wüste von Nevada.

Dies ist nicht das einzige Problem mit dem Erbe des Kalten Krieges. Im militärischen Forschungslabor der Universität von Kalifornien warten 1.000 tiefgefrorene Hunde auf ihre endgültige Bestattung. Die radioaktiven Beagles sollen bei der Entseuchung der gesamten Atomforschungsanlage gleich mitentsorgt werden. Kostenpunkt der Dekontamination: 22 Millionen Dollar.

Am Highway 421 im Süden des US-Bundesstaates Indiana versperrt dem Besucher ein 80Kilometer langer Rundzaun den Zugang zum „Jefferson Proving Ground“. Anderthalb Millionen Bomben, Minen und Artilleriegeschosse haben sich hier bis zu zehn Meter tief ins Erdreich gebohrt. Diese oft noch scharfe Saat sowie die herumliegenden Projektile von 23 Millionen abgefeuerten Munitionsrunden werden das militärische Übungsgelände wahrscheinlich in eine „nationale Opferzone“ verwandeln. „Betreten für die nächsten 10.000 Jahre verboten!“

Daß mit der Welt größter Atomwaffenfabrik in Hanford nicht alles zum Besten stand, das hatten die Bewohner des Bundesstaates Washington im Nordwesten der USA schon seit den 60er Jahren vermutet. Doch erst die jüngsten Enthüllungen über die radioaktive Verseuchung von Umland und Anwohnern haben das Ausmaß an schlampiger Betriebsführung und Verstößen gegen die Sicherheitsverordnungen ans Tageslicht gebracht. Wo seit vierzig Jahren Bomben-Plutonium produziert wurde, werden seit zwei Jahren nur noch radioaktive Lecks geflickt und weitere Gefahrenherde beseitigt. Die Kosten für die Modernisierung der Plutonium-Schmiede und die Entsorgung ihrer radioaktiven Altlasten werden auf 57 Milliarden Dollar beziffert.

Berge von Atommüll, Hunderte von verseuchten Militärbasen und eine aus Sicherheitsgründen nahezu stillgelegte Atomwaffenproduktion: nach dem Ende des Kalten Krieges wird nun auch dem Sieger Amerika die ökologische Rechnung für 40 Jahre rücksichtsloser Hochrüstung präsentiert.

Ohne jede politische Kontrolle, so stellt sich nun heraus, haben die eigenen Militärs daheim jahrzehntelang ein Strategie der vergifteten Erde verfolgt. Auf dem Marine- und Luftwaffenstützpunkt von Lakehurst pumpte die Navy Millionen Liter krebserregenden Kerosins und andere giftige Flüssigkeiten in den Trinkwasserspeicher für das südliche New Jersey. In Jacksonville (Florida) kippten die Marinesoldaten ihren Giftmüll einfach auf die örtliche Müllkippe, bis sich die Schwermetalle und Säurerückstände im Grundwasser wiederfanden. Und im Rocky Mountain Arsenal in der Nähe der Stadt Denver haben Ingenieure der Armee jetzt die „giftigste Quadratmeile der Welt“ verortet. In riesigen, künstlich angelegten Becken lagern hier die toxischen Reste der heute eingestellten Nervengasproduktion.

Nicht die oft gescholtenen Ölkonzerne wie Exxon, oder die notorisch nachlässige Chemieindustrie, sondern Uncle Sam höchstpersönlich ist Amerikas größter Umweltverschmutzer. Während eine in den 70er Jahren verschärfte Gesetzgebung der Privatindustrie mehr Umweltschutz vorschrieb, kann das Militär, im Dienste der nationalen Sicherheit, die Heimatfront bis heute nahezu ungestraft verseuchen. Ein Gesetz der Reagan-Administration hatte die föderale Kontrolle des Pentagons durch die Umweltbehörde EPA juristisch nahezu unmöglich gemacht. Nur ganze 2Prozent der von den staatlichen Inspektoren aufgespürten 14.401 Gift-Grundstücke auf insgesamt 1.579 Militäranlagen sind bisher entseucht worden.

„Die Frage bei der Landesverteidigung ist“, so hatte General Dwight Eisenhower einmal in weiser Voraussicht gewarnt , „wie weit wir gehen können, ohne von innen das zu zerstören, was wir nach außen hin zu verteidigen suchen.“ Die Beseitigung der Umweltzerstörung „von innen“ durch die eigenen Streitkräfte wird die Vereinigten Staaten in den nächsten 30 Jahren über 200 Milliarden Dollar kosten. Die sogenannte Friedensdividende, die sich viele von der Abrüstung des riesigen Militärapparates versprochen hatten, wird auf absehbare Zeit hin auf die ökologische Säuberung seines giftigen Erbes verwandt werden müssen.

Den problematischsten Teil dieses Erbes hat das Energieministerium (DOE) zu verwalten: die amerikanische Atomwaffenindustrie mit 17 Plutoniumanlagen in zwölf Bundesländern. Seit seinem Amtsantritt im Januar 1989 hat Energieminister James Watkins versucht, die in der Atombürokratie mit ihren 16.000 Staatsangestellten vorherrschende „Kultur der Inkompetenz“ (Watkins) offen anzugehen.

Der energische neue Chef kritisierte die mangelnde Aufsicht über die privaten Betreiber der militärischen Nuklearanlagen, die ingesamt 100.000 ArbeiterInnen beschäftigen. Auf die Umweltsünder in den Management-Etagen der Plutoniumfabriken setzte er sogar das FBI an. Ein mit Infrarotstrahlen ausgestattetes Polizeiflugzeug flog nachts über die Rocky-Flats-Fabrik in Colorado, um sicherzustellen, daß die Betreiber die defekte Entgiftungsanlage nicht heimlich wieder einschalteten. Nach der Entlassung der Betreiberfirma Rockwell International ist die Produktionsstätte zur Herstellung von Plutoniumzündern bis auf weiteres geschlossen.

Auch die Anlage von Savannah River in Süd-Carolina, wo die Bombenkerne produziert werden, mußte aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden. In Fernald, Ohio, bezahlte das DOE bereitwillig 73 Millionen Dollar an die Anwohner: als Entschädigung für den über Jahre auf sie niedergegangenen Uranstaub. Der Forschungsreaktor in Oak Ridge, Tennessee, steht still, seitdem die staatlichen Kontrolleure den Reaktormantel in einem „porösen Zustand“ vorfanden.

Die Bereitschaft des Energieministers, um der Sicherheit willen nahezu die gesamte Atombombenproduktion einzustellen, fand im Kongreß und sogar unter den sonst so kritischen Umweltschützern Beifall: „Zumindest hat er die Fehler der letzten Dekade zugegeben“, urteilte der Vorsitzende des zuständigen Kongreßausschusses, Mike Synar, über den hart durchgreifenden Admiral, der sich zuvor als Baumeister der nuklearen US-Navy einen Namen gemacht hatte.

Doch auch die ungewöhnliche Offenheit und Selbstkritik des Energieministers kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die steigenden Kosten seine ambitionierten Aufräumpläne verzögern werden. Statt der benötigten 40,3 Milliarden Dollar sieht der Etat für den Fünf-Jahres- Plan des Energieministeriums nur 28,6 Milliarden Dollar vor. Vor allem der notorische Hanford-Komplex mit seinen neun Atomreaktoren und fünf Wiederaufbereitungsanlagen, dessen Ursprünge noch auf das Manhattan-Projekt zum Bau der ersten Atombombe im Zweiten Weltkrieg zurückgehen, entwickelt sich dabei immer mehr zum atomaren Alptraum Amerikas.

Nach dem Entweichen radioaktiver Strahlung in die Atmosphäre und dem Auslaufen verstrahlter Flüssigkeiten aus den Lagerbehältern ins Grundwasser, liegt auch das neueste Problem Hanfords unter der Erde verborgen. Für das tödliche Gemisch aus radioaktiven Restprodukten der Wiederaufbereitung und giftigen Chemikalien besteht in den unterirdischen Stahltanks konkrete Explosionsgefahr. „Eine Situation dieser Art“, so kommentierten die Energie-Inspektoren im letzten Jahr in einem Brief an den Minister, „würde bei einem Atomreaktor sofort zu dessen Abschaltung führen.“ Nur lassen sich die riesigen Tanks unter der Atomfabrik eben nicht abschalten.

In Hanford werden nun auch die technologischen Grenzen der angegangenen Aufräumarbeiten deutlich. Um die verbrauchten Brennstäbe eines stillgelegten Reaktors endlich zu entsorgen, wollen die Planer jetzt ausgerechnet die Wiederaufbereitungsanlage reaktivieren, die schon im abgeschalteten Zustand gegen die Sicherheitsnormen verstößt, und deren Endprodukte die explosionsgefährdeten Tanks noch weiter füllen würden. „Indem es versucht, ein Problem zu lösen“, so argumentierten, zwei Wissenschaftler des „Institute for Energy and Environmental Research“ im 'Bulletin of the Atomic Scientists‘, „wird das Energieministerium andere Probleme nur noch verschlimmern.“

Ohne eine Lösung der auch in den USA noch völlig ungeklärten Entsorgungsproblematik, dies ist eine Einsicht der neuen Offenheit, wird sich eine vollständige Sanierung und Modernisierung der Atomwaffenindustrie gar nicht realisieren lassen. Doch sämtliche dem Kongreß bereits 1983 vorgelegten Konzepte für die Endlagerung des Atommülls haben sich mittlerweile als unausgereift erwiesen. Die Öffnung des ersten Endlagers der Nation unter dem Wüstenboden Neu-Mexikos hat sich mehrfach verzögert. Seit dem Auftreten erster Risse in den 700 Meter tiefen Salzstollen wird das geplante Endlager heute nur noch vorsichtig als „Forschungsprojekt“ bezeichnet. Das vorgesehene Endlager für den hoch radioaktiven Müll am Yucca Mountain in Nevada könnte frühestens im Jahre 2010 fertiggestellt werden. Neue Zweifel an den geologischen Tauglichkeitsstudien stellen das Projekt jetzt sogar grundsätzlich in Frage.

Unterdessen fährt der neu ernannte „Atommüll-Beauftragte“ der Bush-Administration mit einem Jahresetat von 2,5 Millionen Dollar durch die Lande, um Interessenten für ein Zwischenlager aufzutreiben. Doch die meisten Bundesstaaten haben schon abgewinkt. In Washington hofft man nun, gegen harte Dollars versteht sich, auf ein aufnahmebereites Indianerreservat. „Hätte ich das Ausmaß der Probleme gekannt“, so Admiral Watkins heute über seinen Amtsantritt im Energieministerium, „ich weiß nicht, ob ich dann ja gesagt hätte.“

Nicht ganz so spektakulär, aber um so schwerer zu fassen ist das konventionelle Giftmüll-Vermächtnis des Verteidigungsministeriums (DOD). Würde es morgen privatisiert, wäre das Department of Defense einer der größten Konzerne der Welt. Mit 871 Militärbasen in den USA, einem jährlichen Ölverbrauch von 200 Milliarden Barrel und 40.000 — oft durchgerosteten — Lagertanks für toxische Flüssigkeiten aller Art produziert das DOD jährlich mehr Tonnen Giftmüll als die größten fünf amerikanischen Chemieunternehmen zusammengenommen. Waffenproduktion, Materialpflege und das tägliche Schmieren dieser enormen Militärmaschinerie haben über 40 Jahre zur Herausbildung einer umweltverseuchenden Routine geführt. Chlorierte Kohlenwasserstoffe auf offenen Müllkippen, Munitionsreste im Erdboden, die Ableitung von Lösungsmitteln, Schmierstoffen und hochgiftigen U- Boot-Lacken ins Erdreich, all dies wurde von den Militärs unter dem bequemen Mantel der Geheimhaltung als Preis einer wirkungsvollen Landesverteidigung akzeptiert.

Erst jetzt, wo nach dem Ende des Kalten Krieges die ersten 86 Militärstützpunkte geschlossen werden, ist die Umweltverseuchung auf DOD- Land zum politischen Thema geworden. Viele Gemeinden, die ihre durch die Basen-Schließungen drohenden wirtschaftlichen Verluste durch eine alternative Nutzung der Flächen ausgleichen wollten, müssen nun erkennen, daß die Entseuchung der Militäranlagen oft Jahre in Anspruch nehmen wird. Die im Haushaltsjahr 1991 vorgesehene Dollarmilliarde (rund 0.4Prozent des gesamten Verteidigungsetats), so vermutet Jim Werner vom Natural Resources Defense Council, reiche höchstens zur Durchführung oberflächlicher Aufräumarbeiten, jedoch keineswegs zur Beseitigung aller giftigen Altlasten aus.

Die Versuche von Anwohnern und Lokalbehörden, auf das Pentagon zusätzlichen Druck auszuüben, scheitern meist an der Rechtslage. Die Environmental Protection Agency (EPA) kann nur Privatfirmen, nicht aber staatliche Behörden vor Gericht verklagen. Zwei Gesetzentwürfe zur Stärkung des Umweltamtes blieben im Herbst erneut in den zuständigen Kongreßausschüssen stecken.

Mit Ausnahme der 107 in den „Superfund“ der EPA aufgenommenen Verseuchungsfälle besitzt das Pentagon nicht einmal eine Prioritätenliste für die Dekontamination der rund 14.000 vergifteten Militärgrundstücke. Oft wissen die Kommandanten selbst nicht, welcher schädlichen Stoffe sich ihre Soldaten über die Jahre auf fahrlässige Weise entledigt haben.

Außer an Geld, Willen und Wissen mangelt es dem Verteidigungsministerium auch an qualifizierten Ingenieuren, Geologen und Chemikern zur Erstellung der erforderlichen Reinigungspläne. Ein internes Pentagon-Papier vom Juli konstatiert die Unfähigkeit der Behörde, die Entseuchungsaktionen der angeheuerten Privatfirmen ausreichend überwachen zu können.

Die Frage nach der ökologischen Kompetenz der militärischen Umweltsünder steht auch im Zentrum einer gerade beginnenden Debatte über die Zukunft des unausgelasteten Verteidigungssektors. Senator Sam Nunn und vier weitere Demokraten haben im Sommer vorgeschlagen, dem Pentagon nicht nur die Beseitung der angerichteten ökologischen Flurschäden aufzutragen. Sie wollen dem Militär in Zukunft eine grundsätzliche Rolle bei der Lösung von Umweltproblemen zuweisen. Senator Nunn verweist in diesem Zusammenhang auf die einmaligen geographischen und meteorologischen Datensammlungen des Pentagon und erhofft sich von der neuen Anwendung militärischen Wissens Fortschritte auf dem Gebiet der Umwelttechnologie „als voraussichtlicher Wachstumsindustrie der nächsten 20 Jahre“.

Doch vielen Umweltschützern ist diese neue Beschäftigungstherapie für das Verteidigungsestablishment äußerst suspekt. Sie warnen vor der kostenblinden Geheimhaltungs-Kultur des Pentagon: „Das letzte, was wir brauchen,“ so spottet Jacob Scherer vom „National Resources Defense Council“, „ist eine mit Goldplatten gepanzerte und solarbetriebene Kaffeemaschine für 5.000 Dollar.“ Dennoch, der von den demokratischen Senatoren vorgeschlagene Einsatz von Verteidigungsmitteln in der Umweltforschung findet sogar bei den Skeptikern Anklang.

Und so kommen sie sich langsam näher, die Umweltschutzgruppen, die vor Ort gegen die verseuchten Militäranlagen zu Felde ziehen, und die militärischen Führer, die angesichts der vergifteten Heimatfront neuerdings Gesprächsbereitschaft zeigen. Im letzten September waren die Basis-Aktivisten vom DOD zum erstenmal zu einer nationalen Umweltkonferenz nach Washington geladen worden, auf der sich beide Seiten zunächst noch argwöhnisch beschnuppert hatten. Die Frage sei, so stellte der anwesende Verteidigungsminister Cheney auf dem Treffen mit rund 40jähriger Verspätung fest, „ob wir in unser tägliches Verteidigungsgeschäft eine neue Umweltethik miteinbauen können.“