Das Schöne übertrifft das Tugendhafte

■ Kaum beachtet von den Weltmedien findet zur Zeit in China die erste Fußball-WM der Frauen statt. Nicht daß etwa gerade im "Reich der Mitte" der Frauenfußball eine so große Rolle spielte; für China...

Das Schöne übertrifft das Tugendhafte Kaum beachtet von den Weltmedien findet zur Zeit in China die erste Fußball-WM der Frauen statt. Nicht daß etwa gerade im „Reich der Mitte“ der Frauenfußball eine so große Rolle spielte; für China ist die Ausrichtung nach dem Tiananmen-Drama von 1989 zunächst mal eine Prestigesache. Und im übrigen ein Testspiel für „größere“ Ziele: eine „richtige“ Männer-WM oder Olympia 2000. Gestern verpaßte die Elf aus dem „Reich der Tugend“ (BRD) durch ein 2:5 gegen die Frauen aus dem „Schönen Land“ (USA) das Finale.

AUS GUANGZHOU HAGEN BOSSDORF

Die „Verbotene Stadt“ in der chinesischen Hauptstadt Peking darf zwar inzwischen betreten werden. Aber in der Volksrepublik der 1,2 Milliarden Menschen gab es auf einmal eine neue verbotene Zone: das Quartier der besten Fußballerinnen des Landes. Zu Beginn der 1. Frauenfußball-Weltmeisterschaft kamen alle möglichen Großväter, Nachbarn, Bürgermeister, Parteisekretäre und andere Familienmitglieder der Spielerinnen und wollten mit den „Heldinnen des sozialistischen Aufbaus auf dem Gebiet des Frauenfußballs“ Essen gehen oder sich für die Regionalzeitung oder das Familienalbum fotografieren lassen. „Schluß damit!“ erklärte schließlich kategorisch Shung Hui Rua, der trainierende Leiter der Mission „Fußball-Weltmeister“.

Seitdem war die achte Etage des „White Swan Hotels“ der bestbewachte Ort der Sieben-Millionen- Stadt Guangzhou (Kanton). Als wir in der vergangenen Woche den Assistenztrainer der Chinesinnen besuchen wollten, mußte er vorher drei schriftliche Genehmigungen einholen; nichts sollte die Spielerinnen von der großen Aufgabe ablenken. Liu Ai Ling (zu deutsch: „Sie liebt die Blume“), vierfache Torschützin, und ihre Kameradinnen zelebrierten zur Begeisterung der ChinesInnen ideenreichen Angriffsfußball, das 2:2 gegen Dänemark gehörte zu den Sternstunden dieser Sportart.

Zwar sind die Chinesinnen nach der Vorrunde ausgeschieden, aber die Austragung dieser 1. Fußball- Weltmeisterschaften der Frauen hat auch so seine Funktion erfüllt. 1988 gelang es den Funktionären, die Spiele in die Volksrepublik zu holen. Ganz alleine schafften es die Genossen indes nicht; wie fast immer half Dr. Henry Fok. Der Hongkong-Chinese gehört zu den schillerndsten Figuren Asiens. Das Mitglied der FIFA-Exekutive verdient Millionen mit Hotels, Spielbanken, Pferderennbahnen und Redereien. Der öffentlichkeitsscheue Fok hat für die Chinesen jedoch noch einen ganz anderen Vorzug: Er ist Nationalist und Sportfanatiker. Und so hat er dem Sport des großen Landes bereits 250 Millionen Mark spendiert. Auch die Frauen-WM geht auf seine Kosten.

Nachdem die FIFA-Exekutive sich auf China geeinigt hatte, die Testwettbewerbe positiv verlaufen waren, machten sich die Chinesen übereifrig an die Arbeit. Da der Endspielort Guangzhou eigentlich „Ziegenstadt“ heißt, entwarfen sie flugs ein Maskottchen, verkauften Wimpel und Autoanhänger. Hannelore Ratzeburg von der Frauen-Kommission der FIFA war entsetzt: „Eine Ziege als Symbol für die Frauen, das fanden wir doch ziemlich taktlos — was wir den Organisatoren dann sehr taktvoll klarmachen mußten.“ Aus der Ziege wurde so ein weiblicher Spatz, der dann jede Häuserecke in den fünf Spielorten zierte.

In kürzester Zeit errichteten die Bauarbeiter WM-taugliche Stadien. „Als ich vor einem Jahr in Zhongshan war, zeigte man mir nur die Bilder des Architekten“, erzählt FIFA-Vize-Boß Poul Hyltgaard. Neun Monate später stand mitten im Reisfeld eine 12.000-Zuschauer- Arena. Bezahlt hatte den Blitz-Bau selbstverständlich Henry Fok. Insgesamt kostet die WM den Chinesen 10 Millionen Yuan (ca. 3 Millionen Mark). Daß China als sozialistisches Land ein besonderes Interesse an der Gleichberechtigung des Frauensports hat, bezweifelt der Däne: „Das kann ich nicht erkennen. Sie wollten einfach eine große Meisterschaft.“ Die Organisatoren wollten vor allem zwei Dinge: mit der Frauen-WM viel Geld verdienen und die Chancen für die Männer-WM im Jahre 2002 verbessern. Beides wird aber wohl nicht klappen.

Die chinesischen Volkswirtschaftler wollten die WM selbst vermarkten und übersahen dabei einen Passus im Vertrag mit der FIFA. Der Weltverband hatte die Werberechte schon längst an die Agentur ISL vergeben, die sich das Geschäft nicht mehr aus der Hand nehmen ließ. Auch die Ausrichtung der „richtigen“ Weltmeisterschaft 2002 ist fraglich. FIFA-Präsident Joao Havelange hat die Chinesen hinter den Kulissen bereits zurückgepfiffen: Es gibt in dem riesigen Land keine zwölf WM-Stadien in einer Klimazone, das Visa-Problem ist ungelöst, und außerdem bemüht sich Peking auch noch um die Olympischen Spiele im Jahr 2000. Das „Opfer“ der Frauen-WM hat sich in dieser Hinsicht also nicht gelohnt.

Was bleibt, ist die Gunst der Bevölkerung. 280.000 Zuschauer besuchten bereits die Vorrundenspiele, 80 Prozent der Begegnungen waren ausverkauft. Eine Karte kostete zwischen drei und fünf Mark. Aber schon vor dem letzten Vorrunden- Match Deutschland gegen Italien kletterten die Preise auf dem Schwarzmarkt auf 200 Yuan — was dem Monatsverdienst eines Arbeiters entspricht. Für das Endspiel am Samstag könnten — auch ohne die Beteiligung Chinas — doppelt so viele Karten für das 60.000-Zuschauer-Stadion in Guangzhou verkauft werden. Für die Menschen hier ist diese WM nicht zuletzt die Fortsetzung einer langen Tradition. Als in Europa die Frauen noch im Puder erstickten, spielten Chinas Töchter bereits Fußball. Vor 2.000 Jahren jagten sie haargefüllten Lederkugeln oder aufgeblasenen Schweinsblasen hinterher. Während der Tang-Dynastie (618-907) war das Fußballspiel beim Volk sehr beliebt. Erst der Konfuzianismus und die Tradition des Füßebindens schoben den Frauensport ins Abseits. In der Volksrepublik werden sich Chinas Fußballtöchter seit dieser WM nicht mehr vorschreiben lassen, wann sie sich die Stiefel schnüren.