Eingekreist

■ Spannend, poetisch, aufklärerisch: „Ökos“ in Australien

Col lebt in zwei Welten. Die eine scheint vorwiegend seiner Kindheit zu gehören. Damals zeigte ihm sein Großvater sein Traumschloß tief im Wald. Ein Schloß in einem duftenden Zaubergarten, in der Gabelung eines Flusses gelegen, umgeben vom Geheimnis uralter Bäume. In der zweiten Welt hat sich der verträumte Colum, einziger Sohn einer irischen Mutter, im robusten Leben des Holzfällerortes Cornwall, tief in den Urwäldern Australiens, prügelnd, boxend, Fußball spielend bei seiner Clique durchgesetzt. Seine beiden Welten kommen in einen unlösbaren Konflikt, als die „Ökos“ das weitere Fällen der Wälder verhindern wollen. Das bedeutet das Aus für Cols Vater und den ganzen Ort, aber gleichzeitig auch die Rettung des Waldes rund um das Traumschloß.

Col schreibt den Bericht über die dramatische Zuspitzung der Ereignisse selbst: mit mehrfach gebrochenen Beinen im Krankenhaus der Stadt. Der Rechtsanwalt hat ihm dazu geraten. Col ist nur auf Kaution frei, und ihm droht das Gefängnis. Zum einen, weil er „ein Öko ist“ und zum anderen, weil er einen „Öko“ ge- oder sogar erschlagen haben soll.

Er macht es spannend, dieser Col. Die LeserInnen müssen sich den Ablauf der Handlung aus vielen Mosaiksteinchen zusammensetzen: Col bietet Zeitungsartikel aus der Zeit vor seinem Baumsturz und während seines Krankenhausaufenthaltes zur Lektüre, Fernsehnachrichten, irische Lieder und Lyrik, Zitate aus dem wunderschönen Gedicht The Princes' Land und Aufzeichnungen im Tagebuchstil. Sein Versuch, die Ereignisse aufzuzeichnen — insgesamt handelt es sich nur um knapp vier Tage —, wird unterbrochen von den Geschehnissen im Krankenhaus und seinen Gefühlen beim Schreiben. Assoziativ werden Bilder und Erlebnisse aus der Kindheit und geschichtliche Daten aus der Sicht des Großvaters eingeflochten. Und nicht zuletzt hilft der alte Grieche Nick im Nachbarbett, der mutig gegen den „Faschisten“ in seinem Bauch ankämpft, dem Siebzehnjährigen, sich Klarheit über sich, seine Handlungen und Gefühle, seine Schuld und seine Ängste zu verschaffen. Nick, Cols Großvater und der irische UNO-Gesandte Brian McBride, den Col niedergeschlagen hat, scheinen zu der Sorte Menschen zu gehören, die wissen, wofür sie leben (und sterben), und unklar erfaßt Col, daß es das ist, was er auch für sich herausfinden muß.

In der Nacht, bevor die Polizei die Blockade der „Ökos“ im Wald zerstört, wird McBride im Wald zusammengeschlagen. Am Morgen holt der Bulldozer, der die Blockade bricht, Col aus seinem Schlafnest hoch im Baum. Der Fahrer des Bulldozers ist Cols Vater.

Das Schloß der Kindheit ist in Wirklichkeit eine uralte Pioniersiedlung, vergessen und unzugänglich, außer für Col und seinen Großvater. Als sie per Hubschrauber doch entdeckt wird, fühlt sich der „Prinz“ Col aus seinem Reich vertrieben. Doch die Siedlung bietet die Möglichkeit, statt auf die Holzfällerei auf den Tourismus zu setzen. Entweder wird der Wald gefällt, oder Cols Schloß wird eine Touristenattraktion. Schon wieder eine Zwickmühle, denn es liegt an Col, die Entscheidung zu treffen.

Eigentlich dürfte man von der Geschichte, auch in einer Rezension, nicht allzu viel verraten. Denn die Spannung ist bis zum Schluß raffiniert aufgebaut, wie in einem guten Krimi. Geschickt sind die notwendigen Informationen über Umwelt, Wälder und die Geschichte Australiens in die Handlung eingebaut, und lebendig und überzeugend, komisch, rührend und liebenswürdig ersteht die Person des Ich-Erzählers vor dem/der LeserIn. Mir erscheint der teils flapsige, teil pathetische Ton der Denkweise eines (intelligenten und sensiblen) Jugendlichen sehr adäquat nachempfunden. Als Beispiel für die Poesie der Bilder ein kleiner Auszug aus dem Epilog:

„,Es war einmal im Frühjahr‘, erzählte Großvater, ,da kam ein Prinz in dieses Land.‘ — ,Wie alt war er?‘ fragte ich. — ,Ach ..., so alt wie seine Augen und ein klein wenig älter als sein Lächeln.‘ — ,Und was machte er?‘ wollte ich wissen. — ,Er gab sein Land fort, damit er es behalten konnte.‘...“ Gabriela Wenke

Nadia Wheatley: Eingekreist — Cols Geschichte. Beltz und Gelberg. Weinheim 1991, 256 Seiten, 22 DM