Erstunken und erlogen

■ Bücher über Angst und Wut: „Leichtverdaulich“, meint unser Autor

Zwei kleine Büchlein gilt es vorzustellen: Es war einmal ein kleines Mädchen von Simone Klages und Ein bißchen Angst von Gerhard Holtz-Baumert. Das erste Büchlein soll von der Wut eines kleinen Mädchens über die Streitereien und Trennungsabsichten ihrer Eltern handeln. Im zweiten geht es um die Ängste der kleinen Nina vor Hunden und anderem Getier.

In der Spielzeit 1984/85 spielte das Grips Theater das Stück Medeas Kinder des schwedischen Autorenduos Per Lysander und Suzanne Osten. Das Stück war ein Spiel über Trennung, Scheidung und Tod. Es wurde damals sehr kontrovers diskutiert, und viele Lehrer und Lehrerinnen, die sich als Eltern damals unkarikiert in den Figuren der Medea und des Jason wiederfanden, erklärten damals den Grips-Leuten, daß sie dieses Theaterstück mit den Schulkindern keinesfalls besuchen werden. Sie hatten einfach Angst vor den Konsequenzen.

Das Stück ist gut, war gut inszeniert, und aus den Gesprächen, die ich mit den Kindern damals führte, wurde klar, daß es Regisseurin und SchauspielerInnen gelungen war, den Kindern den Haß der Mutter und die Leiden und Ängste von Klein-Jason und Klein-Medea näherzubringen. Selbst wenn sie nicht betroffen waren, so konnten sie doch besser die Gefühle ihrer Freunde und Freundinnen begreifen. Schließlich ist Trennung und Scheidung zu einem zentralen Bestandteil der Erfahrungswelt der Kinder geworden.

Erstaunlich für mich war damals in den Gesprächen, wie klar schon die Achtjährigen ihren sehnlichen Wunsch nach Harmonie und Sicherheit in der Beziehung ihrer Eltern zum Ausdruck bringen konnten.

Vor mir liegt nun dieses kleine Bilderbüchlein von Simone Klages Es war einmal ein kleines Mädchen, das sich mit dem Thema Trennung auf andere Weise beschäftigt. Ein kleines Mädchen im Pippi-Langstrumpf-Verschnitt mit roten Zöpfen und Sommersprossen ist wütend auf ihre Eltern und schwindelt den Lesern kleine Geschichten vor.

Als ich das Buch nach Hause brachte, schnappte es sich meine trennungserfahrene elfjährige Tochter und las es meinem vierjährigen Sohn vor: Vater und Mutter streiten sich und wollen sich trennen. Die Eltern rennen zur Eheberatung. Die Kinder können sich aussuchen, zu wem sie ziehen möchten. Die Eltern vertragen sich wieder, und es gibt Kaffee und Kuchen. Unterbrochen werden die einzelnen Episoden von einem Refrain, der auch am Schluß des Buches steht: „Stimmt gar nicht! Alles erstunken und erlogen.“ Nach fünf Minuten war die Sache gelaufen und der Kommentar meiner Tochter: „Was ist denn das für ein Schrott.“

Mein Sohn erinnert sich allerdings noch nach Wochen an den zentralen Refrain in der Geschichte und plappert ihn mir grinsend vor. Der Refrain ist witzig, und die Kinder können ihn schon nach dem ersten Lesen mitsprechen. Die Episoden sind oberflächlich und plakativ, wie die bunten Zeichnungen.

Ich frage mich: Was soll so ein Buch? Eine Einstiegshilfe für die Trennungserklärung der Eltern? Das spüren die Kinder doch, bevor das erste Wort gefallen ist. Und die Sorglosigkeit des „Alles erstunken und gelogen“ können sie bei weitem nicht teilen. Da nützt es auch nichts, daß die Autorin und Zeichnerin Simone Klages mit anderen Büchern schon auf den Auswahllisten verschiedener Kinderbuchpreise war.

Bei Ein bißchen Angst bin ich leidenschaftslos. Gerhard Holtz- Baumert hat da eine Geschichte runtergerissen mit der Quintessenz: Wenn die Tochter merkt, daß die anderen Familienangehörigen auch Angst haben, dann kann sie diese Angst besser überwinden. Wer's glaubt, wird selig. Das Ganze ist weder ein sprachliches Meisterwerk noch ein Ausbund an Phantasie. Angst als Empfindung mit literarischen Mitteln erfahrbar zu machen liegt entweder nicht in der Absicht des Autors, oder ihm fehlen dazu die handwerklichen Mittel. En passent streift er noch Geschwisterstreitereien, deren Hackordnung und zeigt sich als glühender Verfechter der These: Frauen gehören an den Herd. Daß diese Frau faktisch eine alleinerziehende Mutter ist, scheint ihm bei seiner Geschichte nicht aufgefallen zu sein. Der leichte ökologische Touch, daß der jetsettende Pappa zu Hause lieber Rad fährt und der Sohn die Colabüchse nicht im Wald vergraben soll, entspricht dem Trend. Also leichtverdaulich, leichtökologisch und garantiert kurzlebig. Peter Huth

Simone Klages: Es war einmal ein kleines Mädchen. Gullivers Bücher. Beltz Verlag Weinheim und Basel 1991. 33 S., 9,80 DM.

Gerhard Holtz-Baumert: Ein bißchen Angst. Arena Verlag Würzburg 1991. 63 S., 6,90 DM.