Walesa: Erst Verfassung, dann Regierung

Wieder soll das Parlament sich selbst entmachten/ Regierung soll ganz vom Präsidenten abhängen  ■ Aus Warschau K. Bachmann

Polens Präsident Lech Walesa hat dem Parlament vorgeschlagen, der Ernennung einer neuen Regierung die Verabschiedung einer neuen, vorläufigen Verfassung vorzuziehen.

Wie in Warschau bekannt wurde, will Walesa die Regierung Bielecki noch eine Zeitlang geschäftsführend im Amt belassen und dem Sejm dafür bei der nächsten Parlamentssitzung am 5. Dezember sein bereits seit längerer Zeit vorbereitetes Projekt einer „kleinen Verfassung“ vorlegen. Erst nach deren Verabschiedung soll dann eine neue Regierung gebildet werden. In dem Verfassungsentwurf, dessen genauer Text noch nicht bekannt wurde, soll der Präsident das Recht erhalten, den Premier unabhängig vom Parlament zu ernennen und auf Antrag des Premiers auch die einzelnen Minister zu berufen. Die Regierung muß vom Sejm dann nicht mehr gesondert bestätigt werden. Gestürzt werden kann die Regierung nur mit einer Zweidrittelmehrheit, wobei allerdings zugleich eine neue Regierung gewählt werden muß. Mit dieser Anlehnung an das deutsche „konstruktive Mißtrauensvotum“, bei dem eine Regierung nur durch eine ihrerseits regierungsfähige Mehrheit gestürzt werden kann, soll einem häufigen Regierungswechsel vorgebeugt werden. Walesas Verfassungsentwurf kommt damit wieder einer Selbstentmachung des Parlaments gleich. Dennoch haben sich bereits mehrere Parteien, darunter die Demokratische Union und die Liberalen, positiv über den Vorschlag geäußert.

Ablehnung kommt dagegen von der Zentrumsvereinigung und von der Konföderation Unabhängiges Polen, die darin eine zu weitgehende Beschränkung der Rechte des Parlaments sehen. Walesa hat bereits erklärt, sein Vorschlag sei nur Diskussionsgrundlage — Änderungen seien möglich. Vor diesem Hintergrund sind auch Walesas Bemühungen zu sehen, die Regierung Bielecki von ihrer Demission abzuhalten. Walesa hatte in einem Brief an Bielecki diesen gebeten, nicht zurückzutreten. Die Regierung war trotzdem demissioniert. Die Debatte über ihren Rücktritt war dann vom Ältestenrat des Sejm auf Wunsch des Präsidenten vom 25.11. auf den 5.12. verschoben worden. Die Fünferkoalition, die mit einer klaren Mehrheit alle ihre Kandidaten in die Führung von Sejm und Senat durchbringen konnte, hält trotz Walesas Unwillen an Jan Olszewski als ihrem Kandidaten für das Amt des Premiers fest. Inzwischen äußerten Vertreter der fünf, ein Beitritt einer weiteren Gruppierung — der Gewerkschaft Solidarität oder der Polnischen Bauernpartei — sei nicht auszuschließen. Die Liberalen bemühen sich unterdessen vergeblich, die Demokratische Union in die Koalition zu ziehen.