Alptraum und Spiegel

■ Eine Ayckbourn-Uraufführung in Hamburg: das Kinderstück „Unsichtbare Freunde“

Lustig wurde es nur, wenn Bühnentricks zum Einsatz kamen: Als sich der Western aus Vaters Fernseher in die Stube drängte, mit Peng-peng und Prärievision auf der Tapete, oder als das Chaos im Zimmer von Lucys Bruder Steven, dem „Stinktier“, wie von Zauberhand und mit einem Schlag verschwand.

Ob allerdings wirklich gelacht werden sollte, konnte bis zum Ende nicht geklärt werden, in der Geschichte der kleinen Lucy, die ihrer Familie eigentlich nur erzählen wollte, daß sie in einem Schwimmwettbewerb der Schule mitmachen darf. Die Mutter (Brigitte Janner), feist und ignorant, hört ihr nicht zu, weil sie selbst unentwegt redet. Der Vater pennt vor der Glotze, der ältere Bruder dröhnt sich zu, wahlweise laut oder mit Walkman. Die Einschaltquoten der Lindenstraße legen nahe, daß es reizvoll hätte sein können, die Klischeefamilie im aufgeschnittenen Zwei-Etagen-Eigenheim zu beobachten, zu belauschen und sich zu gruseln: allemal ein Treffen mit guten Bekannten aus der näheren Umgebung, betrachtet durch die Augen eines (fast) illusions-, aber nicht wunschlosen Kindes.

Da das bebrillte Mädchen mit den roten Strümpfen im familiären Horrorkabinett nichts zu lachen hat, denkt es sich eine Freundin aus, unsichtbar, aber irritierend für die anderen. Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt, als die Phantasiegestalt nach einem Treppensturz der unbeholfenen Lucy ins wirklich-theatralische Leben tritt, ganz in weiß und mit langem blondem Haar, wie eine fleischgewordene Barbiepuppe.

Was passiert, wenn ein halbwüchsiges Mädchen mit kritischer Beobachtungsgabe die Macht erhält, sich Wünsche zu erfüllen, und was entsteht, wenn sie Eltern und Bruder weghext und sich eine neue Familie herbeiträumt? Wenn die Hauptdarstellerin (Anna Polke) in dieser deutschen Erstaufführung von Alan Ayckbourns Stück weder Wut noch Angst, weder altkluge Anmaßung noch kindliche Enttäuschung spielen kann und außerdem nur über eine einzige Variante der Sprechkunst verfügt: über hektisches Geplapper, offenbar als kindgemäß mißverstanden? Dann passiert trotz aller Anstrengung der Mitspieler gar nichts.

Dabei entfaltet die „unsichtbare Freundin“ mit ihrer aus dem Hut gezauberten, überirdisch-weißen Ersatzfamilie, bestehend aus Bruder Nick und Vater Felix, ein unerwartetes Eigenleben. Die sanften, silberblonden Wesen entpuppen sich als anspruchsvoll in einer Weise, die zunehmend Anklänge an die Addams- Family aus dem Horror-Comic weckt. Der Traum der kleinen Leute macht sich, wie so oft in Ayckbourns bissigen Stücken, selbständig, gewinnt unverhoffte Macht über die schäbige Realität und entpuppt sich als Alptraum und Spiegel zugleich.

In der Beurteilung des Dramatikers Ayckbourn streiten sich die deutschen Feuilletons, ob er bloß Zweitverwerter oder gar die Reinkarnation des großen Molière sei: eine Frage, die Kinder im Theater zuallerletzt interessiert. Seine Suche in den Abseiten kindlicher Phantasie aber hätte eine harte Nuß im süßlichen Einheitsbrei pädagogisch höchst wertvoller Weihnachtsmärchen zutage fördern können. Doch in Ulrike Maacks Inszenierung hampelt die arme Lucy harmloser herum als Pippi Langstrumpf es je gewagt hätte.

Darf ein Kinderstück hierzulande nicht witzig sein, nicht bissig, und schon gar nicht boshaft? Oder wollte die Regisseurin den Kindern Angst vor schwarzem Humor einjagen, damit sie sich nicht vorm „schwarzen Mann“ fürchten? Alan Ayckbourn, der seit 30 Jahren in Scarborough eines der erfolgreichsten britischen Theater leitet, nimmt Kinder ernst: als die „Theaterbesucher von morgen“ und als Menschen mit einem Recht auf das, was Theater zuallererst sei, nämlich „fun“. Lore Kleinert

Deutsches Schauspielhaus Hamburg: Unsichtbare Freunde von Alan Ayckbourn. Regie: Ulrike Maack, Bühne: Andreas Hermann. Mit Anna Polke, Brigitte Janner, Ulrich Bähnk, Rainer Strecker. Weitere Aufführungen: 6.12. bis 22.12. in der Kampnagelfabrik.