„Kirche ist nicht Sparschwein des Senats“

■ Kirchen wollen keine Kita-Plätze mehr bauen / Eltern planen Beitragsboykott

90 Prozent aller Kinder zwischen drei und sechs Jahren sollen bis 1995 einen Kindergartenplatz haben. Das ist das erklärte Ziel der Koalitionsvereinbarungen. Dafür müssen in den nächsten Jahren 3.000 zusätzliche Plätze eingerichtet werden, vor allem über freie Träger. Ausgerechnet der größte freie Träger, die Kirchen, stellen sich quer. „Wir werden keinen einzigen neuen Kindergartenplatz schaffen, wenn der Senat nicht bereit ist, Zweitkräfte für die Gruppen einzustellen“, verkündete gestern die streitbare Kirchenfrau Ilse Wehrmann, für CDU-Kandidat Ulrich Nölle als Frau für Soziales in dessen Kernmannschaft, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der evangelischen und der katholischen Kirche. Die kirchlichen Träger stellen immerhin 40 Prozent der gesamten Kindergartenplätze in Bremen.

Die kirchlichen Kindergartenträger sind schon lange unzufrieden mit dem staatlichen Partner, der ihnen Aufnahmekriterien und Abrechnungsverfahren vorschreibt und ihnen ständig hineinregiert, sie aber finanziell viel schlechter behandelt als die anderen privaten Träger. Während die Kirchen 50 Prozent der Kosten selbst tragen müssen, begnügt sich der Senat bei anderen freien Trägern mit wesentlich weniger, zum Teil unter zehn Prozent.

Der evangelische Kirchentag erteilte am letzten Wochenende den Auftrag, hart zu verhandeln, um den Eigenanteil auf maximal 30 Prozent herunterzuhandeln. Damit soll, so die Vizepräsidentin der evangelische Kirchen, Inge Gurlit, nicht das Ausgabenvolumen der Kirchen für Kindergärten gesenkt, sondern endlich die Personalausstattung der Gruppen verbessert werden.

Als Sofortmaßnahme fordern evangelische und katholische Kirche in seltener Einigkeit eine halbe zweite Stelle pro Gruppe, bis 1995 die Realisierung einer vollen Zweitkraft. Sieben Millionen Mark soll das schätzungsweise kosten. Dazu heißt es in den Koalitionsvereinbarungen kurz und knapp: „Eine Zweitkraft für jede Gruppe erscheint wünschenswert, ist zur Zeit aber nicht finanzierbar.“ Inge Gurlit kann „das Gerede über die schlechte finanzielle Lage Bremens nicht mehr hören,“ schon gar nicht, wenn es auf Kosten der Kirche geht, denn: „Die Kirchen sind nicht das Sparschwein des Senats“. Auch für CDU-Mitglied Ilse Wehrmann ist das „eine Frage der Prioritätensetzung“. Der Gipfel senatorischer Kindergartenpolitik ist für Wehrmann die Senatsvorlage zur Anhebung der Kindergartenbeiträge ab August 1992, die gestern bei den Kirchen einging (s.Kästchen). „Die Beitragserhöhung dient nur zur Senkung der staatlichen Zuschüsse. Eine Qualitätsverbesserung ist damit nicht verbunden“, erboste sie sich.

Auch die Eltern sind bereits auf Krawall gebürstet. Gestern abend trat der Gesamtelternbeirat der evangelischen Kindertagesstätten zusammen, um über einen Beitragsboykott zu beraten.

Ilse Wehrmann hofft, daß die konzertierte Aktion von Kirchen und Eltern der neuen Sozialsenatorin Irmgard Gaertner gleich klarmacht, daß neben Psychiatrie und Altenbetreuung ein weiteres brisantes Politikfeld zu beackern ist.

Annemarie Struß-von Poellnitz