Vom Nachttisch geräumt: Wie wir sind

Spontan betrachten wir unseren Körper als Schachtel, in dem unser Ich lebt. Auch wer ihn nicht als Käfig seiner Seele sieht, sondern als schmucke Verpackung, sieht doch auch den eigenen als Fremdkörper. Wir wissen: das ist falsch. Spätestens die psychosomatische Medizin klärte uns darüber auf. Aber so radikal wie Didier Anzieu in seinem Buch Haut-Ich hat kaum jemand Schluß gemacht mit dieser spontanen Dichotomie.

Der Pariser klinische Psychologe begreift die Haut als integralen Bestandteil unseres Ichs. Er belegt diese Auffassung anhand von Krankengeschichten. Er zeigt auch, wie das Wissen um das Haut-Ich sich in Mythen und Erzählungen artikulierte, lange bevor die Wissenschaft das Schachteldenken aufgab. Anzieus Buch handelt also vom Schwitzen, von Berrührungsverboten, von Marsyas und den Grenzen des Ichs. Es entsteht kein Kuddelmuddel, kein medizinisches Feuilleton, sondern ein neues Verständnis von dem, was und wie wir sind. Ein wichtiges Buch.

Didier Anzieu: Das Haut-Ich. Übersetzt von Meinhard Korte und Marie-Hélène Lebourdais- Weiss, Suhrkamp-Verlag, 324 Seiten, 48 DM