piwik no script img

Vom Nachttisch geräumt: Wie wir sind

Spontan betrachten wir unseren Körper als Schachtel, in dem unser Ich lebt. Auch wer ihn nicht als Käfig seiner Seele sieht, sondern als schmucke Verpackung, sieht doch auch den eigenen als Fremdkörper. Wir wissen: das ist falsch. Spätestens die psychosomatische Medizin klärte uns darüber auf. Aber so radikal wie Didier Anzieu in seinem Buch Haut-Ich hat kaum jemand Schluß gemacht mit dieser spontanen Dichotomie.

Der Pariser klinische Psychologe begreift die Haut als integralen Bestandteil unseres Ichs. Er belegt diese Auffassung anhand von Krankengeschichten. Er zeigt auch, wie das Wissen um das Haut-Ich sich in Mythen und Erzählungen artikulierte, lange bevor die Wissenschaft das Schachteldenken aufgab. Anzieus Buch handelt also vom Schwitzen, von Berrührungsverboten, von Marsyas und den Grenzen des Ichs. Es entsteht kein Kuddelmuddel, kein medizinisches Feuilleton, sondern ein neues Verständnis von dem, was und wie wir sind. Ein wichtiges Buch.

Didier Anzieu: Das Haut-Ich. Übersetzt von Meinhard Korte und Marie-Hélène Lebourdais- Weiss, Suhrkamp-Verlag, 324 Seiten, 48 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen