INTERVIEW
: „Madrid war nur ein politisches Festival“

■ Der offizielle Sprecher der ägyptischen Moslembrüder, Mamun Hudaibi, zu den jüngsten Friedensverhandlungen mit Israel

Die Moslembrüder gelten in Abgrenzung zu den radikalen islamischen Untergrundgruppen wie dem „Jihad Islami“ als der „reformistische“ Flügel der islamischen Bewegung. Ihr politisches Ziel ist eine der modernen Zeit gemäße islamische Gesellschaftsordnung. Anders als die Radikalen setzen sie dabei auf legale Wege. Seit 13 Jahren bemühen sie sich um die Zulassung als politische Partei, was ihnen von den ägyptischen Behörden bislang aus immer neuen Gründen verweigert wurde. Trotzdem zogen sie über die Listen einer anderen islamischen Partei, der Arbeiterpartei, mit 34 Abgeordneten ins Parlament ein. Die letzten Wahlen 1990 wurden von ihnen, wie von den meisten Oppositionsparteien, wegen mangelnder demokratischer Garantien boykottiert. Die Moslembrüder verfügen über erheblichen Einfluß innerhalb der Berufsgenossenschaften von Ärzten, Ingenieuren, Rechtsanwälten und anderen sowie an den Universitäten und verfügen über ein weites Netz von karitativen Einrichtungen.

Die Moslembrüder sind zugleich die älteste von den gemeinhin als fundamentalistisch bezeichneten Organisationen. Sie wurden 1928 in der ägyptischen Stadt Ismaelia von dem Lehrer Hassan El-Banna gegründet. Ismaelia war der Sitz der britischen Suezkanal-Gesellschaft und damit gleichzeitig Symbol des britischen Kolonialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Moslembrüder stärkste politische Kraft in Ägypten, mit fast einer Million Mitglieder. Als 1952 Abdel Nasser und die Freien Offiziere die Macht in Ägypten übernahmen, wurden alle Parteien mit Ausnahme der Bruderschaft verboten. Viele der Offiziere hatten Sympathien für die Islamisten oder stammten selber aus ihren Reihen. Ihre programmatischen Vorstellungen über eine Wirtschafts- und Landreform und die Forderung nach Abzug der britischen Truppen deckten sich weitgehend. Für Abdel Nasser waren sie die Massenbasis der neuen Regierung, die sich ansonsten auf keine Partei stützen konnte.

Der Konflikt zwischen Abdel Nasser und den Moslembrüdern, der 1954 im Verbot der Organisation gipfelte, war weniger einer um eine islamische oder säkulare Ausrichtung des Staates, wie in der westlichen Literatur oft behauptet, sondern um die Macht. Die Religion wurde nicht aus dem politischen Leben ausgeschaltet, sondern „verstaatlicht“. Religiöse Institutionen wurden zur Legitimationsbasis der Regierung. Die Moslembrüder wanderten ins Gefängnis, gingen in den Untergrund oder nach Saudi-Arabien ins Exil. Erst unter Sadat konnten sie wieder zurückkehren. Für Sadat stellten sie ein willkommenes Gegengewicht gegen Nasseristen und Linke dar. Aber die Flitterwochen dauerten nicht lange. Hatten die Moslembrüder die Sadatsche Wirtschaftsreform anfänglich unterstützt, so begannen sie schon bald deren soziale und „moralische“ Folgen zu kritisieren. Zum endgültigen Bruch kam es nach Sadats Reise nach Jerusalem und der Unterzeichnung des ägyptisch-israelischen Separatfriedensvertrages. Heute sind die Moslembrüder die Wortführer gegen die Friedensverhandlungen mit Israel.

taz: Die Moslembrüder lehnen die Verhandlungen mit Israel ab. Was ist Ihre Alternative?

Hudaibi: Erst einmal möchte ich die Gründe für unsere Ablehnung nennen. Madrid war nur ein politisches Festival, auf dem Reden geschwungen wurden. Erst danach beginnen die eigentlichen Verhandlungen. Baker hat schon im Vorfeld rote Linien festgelegt, die nicht überschritten werden dürfen. Und diese klammern viele Rechte der eigentlich Betroffenen und der arabischen und islamischen Nation im allgemeinen aus. Erstens: es gibt vier Millionen Palästinenser, die außerhalb des zionistischen Staates leben. Sie sind bei den Verhandlungen nicht vertreten. Ihr Anliegen steht noch nicht einmal auf der Tagesordnung. Das heißt doch nichts anderes, als daß sie ein für allemal auf ihre Rechte verzichten sollen. Dabei stellen sie die Mehrheit des palästinensischen Volkes. Zweitens: die Palästinenser, die heute noch in Palästina leben, kontrollieren nicht mehr als sieben Prozent des Bodens Palästinas. Drittens: die Einstellung der jüdischen Einwanderung nach Palästina ist nicht Vorbedingung der Verhandlungen. Während die eigentlich Betroffenen noch nicht einmal zu Wort kommen dürfen, dürfen sich jeden Tag 1.000 Neueinwanderer in ihrer Heimat niederlassen. Die bilateralen Verhandlungen sollen die arabische Nation und die islamische Ummah in lauter Einzelbestandteile aufspalten. Syrien darf also nicht über Palästina reden. Und zur gleichen Zeit maßt Schamir sich an, für die Juden in aller Welt zu reden, selbst wenn sie amerikanische Staatsbürger sind.

Das eigentliche Ziel des Friedensprozesses ist aber das, was man als die dritte Phase bezeichnet. Und diese Phase soll so schnell wie möglich beginnen, bevor die bilateralen Verhandlungen zu einem Ergebnis geführt haben. An diesen multinationalen Verhandlungen soll sich Ägypten beteiligen, die Türkei, aber seltsamerweise nicht die Arabische Liga. Und warum? Weil es um die vollständige Neuordnung des Nahen Ostens geht. Bevor die Konflikte um den Boden beigelegt sind, soll das Wasser des Euphrat, des Barada, des Nil verteilt werden. Wieso soll sich Ägypten eigentlich an der Wasserkonferenz beteiligen. Das heißt doch im Klartext nichts anderes, als daß es irgendwelche Nichtägypter gibt, die Ansprüche auf den Nil anmelden wollen. Und was steht hinter den geplanten Wirtschaftsverhandlungen? Es geht darum, neue Organe zu schaffen, die die arabische Liga ersetzen sollen, und in die die Türkei und Israel eingeschlossen sind und sogar die Führung beanspruchen. In Zukunft werden dann nicht einzelne Länder Wirtschaftshilfe erhalten, sondern dieses neue Gebilde.Und all das geschieht unter Bedingungen der strategischen Überlegenheit Israels. Die Israelis werden ihren Traum vom Groß-Israel nicht mit dem Mittel des Krieges, sondern über die wirtschaftliche Zusammenarbeit wahrmachen können.

Heißt das, daß sie nicht gegen das Prinzip der Verhandlungen sind, sondern nur gegen die Bedingungen, unter denen sie stattfinden?

Palästina ist in der islamischen Glaubenslehre Teil der arabischen Nation und der islamischen Ummah. Dort befinden sich unsere Heiligen Stätten, dort befindet sich die Al-Aqsa-Moschee. Wir können nicht zulassen, daß sie unter jüdischer Staatshoheit steht. Was ist unsere Alternative? Zuerst einmal müssen wir uns selber reformieren. Erst wenn wir wirtschaftlich, technologisch, militärisch und kulturell stark sind, wird unser Wort überhaupt Gewicht bei Verhandlungen haben. Das setzt politische Reformen voraus. Alle arabischen Länder werden zur Zeit von autokratischen Herrschern regiert, die ohne demokratische Kontrolle und ohne sich um die Meinung des Volkes zu scheren alles im Alleingang entscheiden. Wir können uns nur entwickeln, wenn wir Regierungen haben, die vom Volk gewählt und unterstützt werden, und mit denen die Leute bereit sind, zusammenzuarbeiten.

Aber Israel ist zum Faktum geworden. Es gibt neue Generationen, die in Palästina geboren wurden und für die es zur Heimat geworden ist.

Wenn es in Zukunft Leute gibt, die nicht wieder in ihre Heimat zurück wollen, so werden wir eine Lösung für sie finden, die mit unserer Religion, unseren Interessen und unserer Integrität korrespondiert. Unser Glaube verbietet uns nicht, mit Leuten in Frieden zusammenzuleben, die mit uns in Frieden leben wollen. Aber das ist etwas anderes, als wenn jemand kommt, um uns seine Existenz aufzuzwingen, uns zu kolonisieren und den Herrn in unserem Lande zu spielen.