»Die Entlassung ist stillos und unverantwortlich«

■ Der Jurist Professor Uwe Wesel (FU), der ein Jahr lang Gastprofessor an der Humboldt-Universität war, zur Entlassung des Rektors Heinrich Fink — westliche Kolonialherrenmanier in der ehemaligen DDR und der Kampf gegen alles, was links ist

taz: Muß man nicht trennen zwischen den Stasi-Vorwürfen gegen den Rektor Heinrich Fink und dem Verfahren der Amtsenthebung?

Uwe Wesel: Das Verfahren ist unmöglich. Auch wenn ein erheblicher Verdacht besteht, kann man gegen den Rektor einer großen Universität so nicht vorgehen. Denn es bleiben Zweifel, die nicht unerheblich sind. Nicht jeder, der in den Akten als IM geführt worden ist, wußte davon. Das hat Herr Gauck selber gesagt. Es hat etwa zehn Prozent Leute gegeben, die nichts davon wußten. Zu denen kann Herr Fink gehören. Und solange die Beweise nicht ausreichend sind — und das sind sie nicht für eine Entlassung —, kann man jedenfalls nicht mit dieser überstürzten Hast verfahren. Wie der Wissenschaftssenator Erhardt vorgegangen ist, das ist ungeheuerlich. Das ist stillos, würdelos, unverantwortlich und gegen alle Regeln eines Verwaltungsverfahrens.

Andererseits kann man irgendwo den Unmut des Senators verstehen über einen Rektor, der nach außen hin nicht deutlich gemacht hat, daß er sich ernsthaft bemüht — und ich weiß, daß er sich ernsthaft bemüht—, diese Universität zu erneuern. Nach außen für normale Bürger sieht es so aus, als ob Herr Fink sein Amt nur dazu gebraucht, diejenigen zu decken, die da bisher gearbeitet haben, die alten Seilschaften, wie man so schön sagt.

Gibt es jetzt falsche Solidarisierungen, weil das Verfahren der Amtsenthebung nicht regelgerecht abläuft, und liegt nicht gleichzeitig in Herr Finks entschiedenem Eintreten für den Erhalt der Humboldt- Uni der Wunsch des Senators begründet, ihn loszuwerden?

Das Problem ist, daß Herr Fink in den letzten eineinhalb Jahren mit großer Energie und Standhaftigkeit und mit großer Redlichkeit diese Universität aus dem einen politischen System in das andere politische System zu überführen versucht, ohne daß den Menschen die Identität genommen wird. Und zwar so, daß diejenigen, die politisch untragbar oder wissenschaftlich nicht qualifiziert sind, gehen müssen. Das ist, wenn ich ihn richtig verstehe, sein Ziel. Das ist gut, was er da gemacht hat. Deswegen hat er auch die Mehrheit der Leute dort drüben hinter sich. Allerdings hat er das nach außen nicht deutlich genug gemacht. Und der Senator hat das leider nicht verstanden oder nicht verstehen wollen.

Hier kommt eben hinzu, daß von unserer Seite nur in Kolonialherrrenmanier versucht wird, dort drüben die Dinge so zu regeln, wie wir sie für richtig halten. Das ist ein unmögliches Verfahren. Wir müssen ihnen die Chance geben, sich zu erneuern. Es gibt ja Fachbereiche, beispielsweise bei den Juristen, da ist der Selbsterneuerungsprozeß in geradezu beispielhafter Weise über die Bühne gegangen. Da sind jene, die politisch und wissenschaftlich nicht tragbar waren, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ausgewählt und entlassen worden. Das ist nicht nur bei den Juristen so passiert. Aber es ist in einigen Fachbereichen auch noch nicht geschehen. Und da muß ich Fink den Vorwurf machen, daß er wahrscheinlich nicht genügend Druck ausgeübt hat. Die Humboldt- Uni ist jedenfalls die einzige Universität in der alten DDR, der es einigermaßen gelungen ist, sich selber zu erneuern und ihre eigene Identität über den Wechsel hinüberzuretten.

Aber sammeln und verstecken sich hinter Fink nicht auch die mitschuldig Gewordenen? Ist die Solidaritätswelle für Fink nicht ein Aufbäumen derer, die zwar nicht direkt für die Stasi gearbeitet haben, aber dennoch nichts gegen das Unrechtsregime getan haben?

Ich weiß nicht, ob diese Leute sich hinter Fink verstecken. Ich halte das durchaus für möglich. Aber hinter dem Senator verstecken sich auch Leute, die alles bekämpfen, was ihnen politisch nicht in den Kram paßt. Dazu gehören nicht nur diejenigen, die sich hinter Fink verstecken, sondern Leute wie Herr Fink selber auch, die ihre linken Auffassungen nicht aufgegeben haben. Die niemals in diesem Sinne weitermachen wollen, wie es dort drüben leider fürchterlich zugrunde gerichtet worden ist, sondern die einen neuen Anfang versuchen. Herr Fink ist durchaus in einer Gruppe zu sehen mit Christa Wolf, Stephan Heym und anderen, die für vieles stehen, was erhaltenswert ist. Und das wollen jene, die sich hinter Herrn Erhardt verstecken, auch nicht. Die wollen all das bekämpfen, was an der politischen Erneuerung der DDR gut ist, nur weil es eben nicht konservativ ist, sondern weiterhin einen progressiven Charakter hat. Da liegt das Grundproblem, daß hier immer noch in Freund-Feind-Verhältnissen gedacht wird und der politische Gegner von oben her mit den Mitteln des Staates bekämpft wird.

Ist es also eine Ost-West-Problematik?

Auf der einen Seite ist ein unbezähmbarer Hochmut und eine Arroganz derjenigen aus dem Westen gegenüber jenen aus dem Osten, die man für unfähig und politisch korrupt hält. Das zweite aber ist, daß ja auch bei uns mit denjenigen, die politisch anderer Auffassung sind, immer noch in sehr brutaler Weise umgegangen wird. Das ist das alte 68er Syndrom: Die Linken müssen bekämpft werden. Sie müssen weg und reiner Tisch gemacht werden, damit 68 endlich beseitigt wird. Und Herr Fink ist durchaus ein Mann, der zu denen gehört, die man bei uns als die alten 68er bezeichnen kann. Es ist also nicht nur ein Ost-West-Konflikt.

Herr Fink ist zwar ein Linker, aber er ist dennoch lange Jahre eine Stütze und Teil des DDR-Systems gewesen, weil er sich als Mann der Kirche auf die Seite des Staates gestellt und damit auch die Stalinisten gedeckt hat.

Ich glaube, daß auch viele von unseren 68ern sich dort drüben so verhalten hätten, wie es Herr Fink getan hat. Das wäre politisch sicher ein Fehler gewesen, aber verständlich. Ich finde, damit muß man umgehen können, wenn nicht noch etwas anderes hinzukommt, wie beispielsweise eine Mitarbeit bei der Staatssicherheit. Dann ist auch für mich die Grenze überschritten. Dann kann ich auch jemanden politisch nicht mehr respektieren.

Klammert man sich dort drüben an die Vorstellung, Herr Fink könne einfach nicht bei der Stasi gewesen sein, damit nicht noch mehr der eigenen Identität zerstört wird? Und bei den westdeutschen Linken möchte man darüber auch nicht diskutieren, weil Herr Fink eben ein guter Linker ist.

Das ist in der Tat das Bild, das wir von Herrn Fink haben: Er ist der gute linke Ossi. Und natürlich würde unser Weltbild schon ins Wanken geraten, wenn sich nun herausstellen sollte, daß er tatsächlich Mitarbeiter des MfS gewesen ist. Das spielt auch eine Rolle für unsere Solidarität mit ihm. Aber alle, mit denen ich gesprochen habe, sagen, wir wissen nicht genau, was los ist. Die Beweise bisher reichen nicht aus. Hier wie überall muß gelten: im Zweifel zugunsten des Beschuldigten.

Wird da nicht mit zweierlei Maß gemessen? Im Fall de Maizière haben wir der Bundesregierung vorgeworfen, sie decke de Maizière gegen die glaubhaften Beweise der Gauck- Behörde. Jetzt verteidigen wir unseren guten Linken gegen die unglaubwürdige Gauck-Verwaltung.

Da ist was dran. Allerdings sehe ich gewisse Unterschiede. Ein Politiker, der in einen erheblichen Verdacht gekommen ist, in dem nun auch Heinrich Fink steht, der muß gehen. Bei einem Beamten, für den es um die Existenz als Professor geht, ist das etwas anderes. Außerdem geht es noch um seine Position als Rektor. Die ist ja vielleicht vergleichbar mit der eines Politikers der CDU. Aber zu dieser Position muß man sagen, darüber hat die Mehrheit der Mitglieder dieser Universität zu entscheiden. Und letztlich Herr Fink mit seinem Gewissen.

Ist für Sie in diesem ganzen Prozeß überhaupt noch die Frage, zu entscheiden, was Wahrheit und wo Gerechtigkeit ist?

Nein. Das kann ich nicht. Man kann allein schon die Geschichte um Sascha Anderson nehmen und was wir jetzt hören, in welchem Maße sich das MfS auch in literarische Diskussionen eingemischt hat. Wir verstehen viel zuwenig von dem, was dort drüben in den letzten vierzig Jahren vor sich gegangen ist. Für uns ist das MfS ein Codewort, auf das wir sofort wie elektrisiert reagieren, vergleichbar mit der Gestapo. Ich glaube, das ist nicht richtig — aber ich weiß es nicht genau. Wir wissen zuwenig. Ich glaube, die Dinge sind viel komplizierter, als wir sie im Moment sehen. Ich halte es nicht ganz für ausgeschlossen, daß ich den einen oder anderen, der für dieses Ministerium gearbeitet hat, auch nicht so verurteilen würde — wenn ich besser Bescheid wüßte —, wie ich es jetzt tue. Da gehen in der Tat Wahrheit und politisches Vorurteil sehr stark ineinander über. Das sind Reizworte, über die wir sehr viel mehr nachdenken werden müssen, als wir es bisher getan haben.

Wollen sie damit sagen, die Ostdeutschen müßten diesen Komplex auf ihre Weise bearbeiten und die Westler auf eine andere Art auch?

Nein, daß meine ich nicht. Wir müssen das leider alles gemeinsam machen. Genauso wenig, wie die ja über das informiert sind, was bei uns soziale Vorgänge bedeuten, genauso schlecht sind wir über das informiert, was bei ihnen vorgegangen ist. Beide Seiten müssen sich sachkundig machen und gemeinsam entscheiden. Ich glaube nicht, daß die irgendwo ein moralisches Monopol haben, über sich selbst zu entscheiden. Das ist auch unsere Sache. Wir müssen uns dort drüben kümmern, wie die sich auch um unsere Sachen kümmern müssen.

Es gibt eine Ost-Wahrheit, es gibt eine West-Wahrheit, aber es kann nur eine Moral geben...?

... die wir gemeinsam entwickeln müssen. So muß das gehen. Das Gespräch führte

Gerd Nowakowski