: Ein Hauch von Clearasil
■ Vom Internationalen Festival der Filmhochschulen in München
Es ist verboten, auf den Zimmern zu rauchen, Alkohol zu trinken, Frauen mitzubringen, zu masturbieren, Lieder in arabischer Sprache zu singen, Fahrrad zu fahren, zu sterben...“ Ein Feldbett, ein Waschtisch, viel zu groß gemustert die Tapete für das winzige Zimmer. Die Fenstertür ist gnädig verhängt, um den Blick auf die noch tristere Vorortlandschaft zu vermeiden. Ein Blecheimer fängt die Tropfen auf, die in sturer Regelmäßigkeit von der Decke fallen.
Acht Quadratmeter, die französische Ersatzheimat des nordafrikanischen Gastarbeiters Ammed. Der 35minütige Film Ohnmacht, Abschlußarbeit des Algeriers Karim Traida an der „Nederlandse Film en Televisie Academie“, gehört zu den ausgezeichneten Arbeiten des diesjährigen Internationalen Festivals der Filmhochschulen in München. Traida zeichnet die fortschreitende Depression eines Mannes nach, der allein in der Fremde seine Potenz und damit nach arabischem Glauben Macht und Ansehen verloren hat. Einzig seine Träume lassen ihn aus der Algerier-Absteige samt ihrer Hausordnung entfliehen. Anstatt seine äußere Situation zu ändern, verfällt er mehr und mehr der Tristesse seiner Umgebung. Hingebungsvoll fährt die Kamera über die fleckigen Wände, wartet, bis sich der nächste Tropfen löst, ruht sich aus auf der Textur der Bettdecke, begleitet Ammed auf seinen Gängen durch die schäbigen Wohnsilos zum Arzt, zum arabischen Wunderheiler wie zum Psychiater. Mehr und mehr erstarrt das Leben des Ammed, immer unbeweglicher wird auch die Kamera.
Wie aus einem bösen lähmenden Traum erwacht, rebelliert der Kasernierte. Springt, singt, radelt durchs Zimmer, packt seinen Koffer und verläßt seine klösterliche Zelle. Ohnmacht reißt die Problematik nicht nur an, sondern zeigt und dokumentiert so etwas wie einen Ausweg.
Karim Traida ist mit 42 einer der ältesten Teilnehmer. Die Thematik vieler Filme macht das deutlich. Die Auseinandersetzung mit dem Elternhaus, der junge Mensch in seiner gerade erst gewonnenen Freiheit, Kindheitserinnerungen, junge Liebe sind häufige Themen der insgesamt 120 Filme. So viel Nabelschau, verherrlichte Egozentrik junger Erwachsener, wird in der Häufung doch recht mühsam. Gegen diesen Hauch von Clearasil schien die internationale Studentenjury unter Vorsitz des Regisseurs Volker Schlöndorff unempfindlich zu sein, bekamen doch gleich drei solcher Filme einen Preis. Interessant, wenn auch anstrengend, eine Arbeit der Filmfakultät des Theater-Instituts Tiflis. A Day von Levan Glonti zeigt einen Tag im Leben eines jungen Mannes, der noch bei seinen Eltern lebt. 65 Minuten lang begleitet der Film den jungen Georgier, der freudlos einen unerfüllten Tag totschlägt. Endlos darf der Zuschauer eine Topfpflanze vor dem Fenster des Jungen betrachten und, wie der, noch völlig verpennt im Bett liegend, durch das elterliche Rumoren gestört, auf die Pflanze starrt. Zerdehnte Zeit. Die Wohnung liegt anscheinend direkt neben den Bahngleisen, der Verkehrslärm ist höllisch, selbst das Klappern des Geschirrs im Kaffeehaus ist nervtötend. Endlose Detailaufnahmen wechseln mit Irrfahrten durch erschreckende Stadtlandschaften. Als der Junge nach einer Auseinandersetzung leblos auf der Straße liegenbleibt, wünscht man ihm, nie mehr aufstehen zu müssen.
Lange Sequenzen, ruhige Bilder. Stadtlandschaften, Bilderbuchlandschaften. Bilder, wie wir sie aus französischen Filmen kennen, aus Renoirs Ein Sonntag auf dem Lande zum Beispiel. Keine ökopiesepampeligen Aufnahmen von sterbenden Wäldern oder bitterfeldmäßiger Industrielandschaft. Friedliche Natur, glückliche Kühe. Die Geschichten dazu sind dem Alltag entnommen: Die alte Frau auf dem Weg vom Friedhof zu ihrem Häuschen, von Isabelle Razavet von der FEMIS in Paris, oder der ungarische Film von Zsusza Böszörmenyi von einer einsamen Frau, die sich ein Adoptivkind aus dem Waisenhaus auf ihren kleinen Bauernhof holt. Andere verwenden die Schönheit der Natur als Hintergrund für irreale, märchenhafte Handlung. Seahouse von Ian Dodds („Royal College of Arts“) erzählt von dem Mädchen mit der Augenbinde, das sich in der verwunschenen Landschaft Nordost-Englands einer Jahrmarktstruppe anschließt.
Selten sind in diesem Jahr Experimentalfilme wie Gravity von Andrezej Wojciechowski aus Polen, der einen der beiden Nachwuchspreise erhielt. Ultrakurze Schnitte, harte Schwarzweiß-Aufnahmen: ein 60er- Jahre Brutalo-Betonbau, davor ein schwarz gekleideter Mann und irgendwo eine weiße Feder. Die Feder schwebt zu Boden, im Laufe des Films ändern sich die Gravitationsverhältnisse, die Feder wird zum Stein. Sechzehn Minuten flimmernder Neoexistentialismus. Ebenfalls prämiert wurde der heiter-skurrile Trickfilm Balloon der „National Film and Television School“: Ein kleines Mädchen und ein roter Ballon. Es ist ein Plastilin-Mädchen mit dicken, gelben Plastilin-Zöpfen. Ein böser Plastilin-Zauberer luchst ihm seinen Ballon ab, der Riese braucht Ballons, um seine Gummi-Spannkraft immer wieder zu erneuern. Doch bis sie für ihn einnahmefähig sind, müssen die armen Gummidinger eine Reihe grausamer Foltergeräte durchlaufen. Mit köstlich britischem Humor erdachte Regisseur Ken Lidster phantastische Plastilin- Apparaturen, die kleine Ballons gar schrecklich malträtieren können. München ist aber kein Problemfestival, alles wendet sich zum Guten. Das Mädchen befreit die Gefolterten und tanzt mit seinem roten Ballon durch die schwarze Nacht. Auf und davon. Lilli Thurn und Taxis
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