Tritt Rußland der neuen „Union“ bei?

Alle an eine Föderation erinnernden Elemente sollen aus dem Unionsvertrag getilgt werden/ Wer wird künftig die Geldemission kontrollieren?/ Rußland will den Zentralhaushalt schon jetzt beschneiden  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Haben die Vertreter der Republiken den Neuentwurf eines Unionsvertrages nur deshalb an die Republikparlamente zurückverwiesen, um das Projekt in aller Stille zu begraben? Gegen diesen Verdacht hat zumindest der immer noch vor sich hin existierende Oberste Sowjet der UdSSR tapfer angekämpft. Er empfahl den Parlamenten der Einzelstaaten, die Union als letztes Bollwerk gegen Bürgerkrieg und Not um jeden Preis zu erhalten. In der Praxis laufen die Republiken allerdings politisch weiter in alle vier Himmelsrichtungen auseinander, wobei sie immerhin nach Wegen suchen, ihre Interessen auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet untereinander abzustimmen. Die Realität der Verhandlungen entspricht dabei weniger der Konzeption einer „Union souveräner Staaten“ als vielmehr einer Union Rußlands mit anderen souveränen Staaten.

Das Verhalten des Obersten Sowjet ebenso wie den vorläufig letzten Unionsvertragsentwurf bemängelten denn auch in der Tagungspause der stellvertretende Ministerpräsident Rußlands Gennadij Burbulis und Staatssekretär Schachrai. Im Hinblick auf die Souveränitätserklärung der Ukraine äußerte Burbulis: „Die slawische Achse muß erhalten bleiben.“ Die Beziehungen zwischen Rußland und der Ukraine würden sich — so der stellvertretende russische Ministerpräsident — vor allem bilateral gestalten, aber Rußland könne sich eine zukünftige Union ohne die Ukraine nicht vorstellen. Im Plenarsaal war die Rede davon gewesen, daß die im Projekt enthaltene Charakterisierung der neuen Union als „konföderativer demokratischer Staat“ juristischer Nonsens sei, ein „hybrides Gebilde aus Föderation und Konföderation“. Dies ist auch die Ansicht des ukrainischen Präsidenten Krawtschuk, die ihm als Hauptargument gegen den Beitritt seiner Republik dient. Die Mehrheit der russischen Deputierten kamen diesem Standpunkt entgegen, indem sie forderten, alle Elemente, die an einen föderativen Staat erinnern, aus dem Entwurf zu tilgen: es handelt sich dabei vor allem um den Vizepräsidenten, die Unionsregierung und die Wahl des Präsidenten durch die Bürger, an deren Stelle einfach eine Übereinkunft der Mitglieder der Konföderation in bezug auf diese Person treten könnte.

Besonderer Kritik unterzogen die Russen die Rolle des Obersten Sowjet. Staatssekretär Schachrai betonte, es habe sich gezeigt, daß der Oberste Sowjet in Zukunft gegen die Interessen Rußlands gerichtete Beschlüsse fassen könne, und deshalb riete es sich an, diesem Parlament künftig nur noch konsultative Funktionen zuzubilligen. Es hatte nämlich am selben Tage einen 90,5-Milliarden-Rubel-Kredit der Staatsbank an das Finanzministerium der Union bewilligt, um die Gehälter aller Staatsangestellten im letzten Quartal zu sichern. Der russische Oberste Sowjet hatte hingegen seinerseits gefordert, das Budget der ohnehin dahinscheidenden Union vor einem derartigen Schritt erst einmal kräftig zu kürzen, damit auch noch für die eigene Republik genug Geld auf der Bank bliebe...

Daß möglicherweise nicht nur der Oberste UdSSR-Sowjet gegen die Interessen Rußlands, sondern auch das Russische Parlament gegen die Interessen der anderen Republiken verstoßen kann, zeigt dessen Beschluß, ab 1. Januar alle auf dem Territorium der Russischen Föderation befindlichen Bezitztümer der UdSSR-Staatsbank für die eigene Republik zu verstaatlichen. Die Rubel-Emission wird dann allein in RSFSR-Hand liegen, und alle Republiken, die den Rubel noch als Zahlungsmittel benutzen, werden sich wegen nagelneuer Scheinchen nicht mehr an die Union, sondern an die russische Regierung wenden müssen. Die könnte dann zurückfragen: Und was bekommen wir dafür?

Daß die Kontrahenten in der laufenden Auseinandersetzung nicht bar jeder Vernunft sind, zeigt die Einigung über die Quoten bei der Bezahlung der Auslandsschulden. Iwan Silajew, Vorsitzender des interrepublikanischen Wirtschaftsausschusses, und die Vertreter von sechs Unionsrepubliken, darunter Rußlands, kamen überein, die sowjetische Außenhandelsbank für die Zwecke der anteiligen Schuldentilgung zu reorganisieren. Getreu der neu befolgten marktwirtschaftlichen Logik werden im Kontrollgremium der Bank die Republiken gemäß ihrer Zahlungsquote vertreten sein. Rußland mit 61 Prozent.

Der Klub der Reichen, die G-7-Staaten, hat bereits positiv reagiert. Man ist dort einverstanden, daß die Union für ein Jahr die Rückzahlung der Schulden aussetzt und nur die Zinsen zahlt. Auch neuen Kreditaufnahmen ist damit institutionell der Weg geebnet