Gefährlicheres Heroin

■ Seit der Wende hat sich die Drogenszene verändert/ Kein liberalerer Umgang mit den Abhängigen

Bereits 200 Menschen sind in diesem Jahr in Berlin an den Folgen des Gebrauchs harter, illegaler Drogen gestorben. Die Ursache für diesen auch bundesweit zu beobachtenden Trend liegt nach Ansicht des Landesdrogenbeauftragten Wolfgang Penkert im zunehmenden Mehrfachgebrauch harter Drogen sowie in einem gestiegenem Wirkstoffgehalt des Heroins. Die Konkurrenz auf dem Drogenmarkt ist seit dem Fall der Mauer wesentlich härter und der Stoff demzufolge reiner geworden. Viele aus der Haft entlassene Junkies, aber auch sogenannte »Stolpercleaner«, die nur ab und zu zur Droge greifen, drücken nach einer Zeit der Abstinenz wieder die gleiche Menge wie früher — und sterben an den Folgen einer Überdosis.

Nach Einschätzung der Berliner Kriminalpolizei umfaßt die Szene seit Jahren etwa 8.000 Konsumenten illegaler Drogen. Daß sich die Zahl der Neueinsteiger gleichzeitig drastisch erhöht haben soll, erklären Jugendsenator Thomas Krüger und der Leiter des Rauschgiftreferats, Georg Samulowski, jedoch zu einem rein statistischen Problem. Die jüngst durch die Übernahme der ehemaligen Volkspolizisten erheblich verstärkte Rauschgiftpolizei habe lediglich mehr Neueinsteiger registriert.

Dennoch hat sich etwas verändert. Berliner Streetworker beobachten eine zunehmende Verelendung unter den Junkies auf den Straßen. Die meisten sind in miserabler körperlicher Verfassung. Viele Abhängige werden beim Wohnungseinbruch, Autodiebstahl oder Handtaschenraub ertappt. Doch an eine Erweiterung des Substitutionsprogramms mit der Ersatzdroge Methadon, die diese Beschaffungskriminalität eindämmen und den Abhängigen gestatten würde, einer geregelten Arbeit nachzugehen, ist vorerst nicht zu denken. Im Gegenteil, die bislang praktizierte Berliner Linie — Methadonsubstitution als Einzelfallentscheidung — wird, so befürchtet nicht nur die Berliner Aids-Hilfe, durch die seit Oktober geltenden Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen künftig torpediert.

Von den rund 400 Berliner Substituierten wurden bislang rund 150 aufgrund einer sozialen — also nicht allein einer medizinischen — Indikation in das Programm aufgenommen. Heute ist die Substitution mit psychosozialer Begleitung in Berlin die Regel. In den neuen Bestimmungen ist von psychosozialer Betreuung parallel zur Substitution nicht mehr die Rede. Zwar können jetzt zugelassene Ärzte legal über Methadonsubstitution entscheiden, die soziale Indikation jedoch bedarf der Genehmigung durch eine Kommission. Ob die Kassen, die neuerdings die Kosten für die ärztliche Behandlung und das Medikament übernehmen, künftig auch bei einer sozialen Indikation einspringen, ist nicht geregelt. Ebenso ungeklärt ist in Berlin bislang, wie die psychosoziale Betreuung sichergestellt werden kann. In Hamburg ist man da ein gutes Stück weiter: Hier kann der Substituierte mit einem Rezept des behandelnden Arztes zu einem niedergelassenen Therapeuten gehen, die Kosten übernimmt die Sozialbehörde.

Auch über die Einrichtung von sogenannten Druckräumen, in denen sich Junkies unter sozialer und ärztlicher Kontrolle ihren Schuß setzen können, wird in Hamburg wesentlich offener diskutiert. Senator Krüger will diese Frage in der Öffentlichkeit »vorsichtig debattieren«. Ähnlich vorsichtig vermutlich, wie sich der SPD-Senator zu dem von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten Änderungsentwurf des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG) verhält.

Voll anschließen möchte er sich lediglich dem parallel vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf. Dieser sieht eine Rücknahme der Strafverfolgung von abhängigen Konsumenten, einen Ausbau des Prinzips »Hilfe vor Strafe« sowie klarere Richtlinien zur Durchführung von Substitutionsbehandlungen vor — eine Folge der auch nach Bonn vorgedrungenen Einsicht, daß die vorwiegend repressiv orientierte Gesetzgebung gescheitert ist.

Der SPD-Entwurf geht allerdings noch ein Stück weiter: Er soll die Substitution von der Ausnahme zur Regel machen und präzisiert die Bedingungen, unter denen die Staatsanwaltschaft Verfahren gegen Junkies einstellen kann. Nach dem SPD-Entwurf wäre die Einrichtung von Druckräumen auch vom Gesetz her möglich, die umstrittene Kronzeugenregelung soll gestrichen werden. Vor allem der Vorschlag, den Besitz einer Wochenration Heroin allein noch nicht unter Strafe zu stellen, stößt bei Krüger auf Unbehagen.

Ein Liberalisierungssenator ist der SPD-Mann aus dem Osten nicht. Eine Teilnahme an der Ende November in Zürich tagenden zweiten Drogenkonferenz europäischer Städte kam für Berlin nicht in Frage, da diese, so Krüger, unter dem Vorzeichung der Legalisierung stehe. Weder die guten Erfahrungen mit der kontrollierten Freigabe von Heroin auf Rezept im englischen Whitness noch das Frankfurter Vorhaben, Methadon an über 1.000 Heroinsüchtige zu vergeben, ist für Berlin ein Thema. Krüger setzt allein auf Prävention und veranstaltet bereits am 12./13. Dezember zu diesem Thema eine Fachtagung.

Kreuzberg will da nicht mehr mitziehen. Wie die taz erfuhr, haben Sozialarbeiter in Zusammenarbeit mit der Drogenkoordination des Bezirks vor, sich im Alleingang der Konferenz europäischer Städte anzuschließen. Martina Habersetzer