Opfer zu Tätern gemacht

■ Wie die evangelische Kirche einen Namibia-Film blockiert

An diesem Wochenende findet in Windhuk der erste Kongreß der ehemaligen namibischen Befreiungsorganisation Swapo statt, die sich nun, in Friedenszeiten, als demokratische Partei präsentieren will. Ein Anlaß, den Namibia-Dokumentarfilm Tag wie ein Traum des Kieler Filmemachers Dierk-Eckhard Becker zu zeigen. Die „Evangelische Kirche im Rheinland“ (EKiR) hat dies jedoch zu verhindern gewußt.

Beckers Film ist seit März 1991 fast fertiggestellt. Fast, denn die EKiR, die ihn mitfinanziert und sich Vertriebsrechte im deutschsprachigen Raum und in Namibia erworben hat, blockiert nun die Endfertigung und den Vertrieb der brisanten Dokumentation. Sie kam zustande, nachdem der namibische Kirchenrat Präses Peter Baier von der EKiR um finanzielle Hilfe für eine filmische Gegendarstellung der so oft verdrehten Fakten über die Rolle von Swapo und Kirchen im Befreiungskampf gebeten hatte. Regisseur Becker besaß aufgrund früherer Arbeiten das Vertrauen der schwarzen Kirchen.

Namibia, seit dem 21.März 1990 eine unabhängige Nation, ist befreit und scheint dennnoch „gefangen“. Der 30 Jahre währende bewaffnete Befreiungskampf der Swapo gegen Südafrika scheint im nachhinein nur eine Etappe auf dem Weg zur Selbständigkeit gewesen zu sein. Nur mühsam gelingt es der neuen Regierung, überkommene ökonomische Machtstrukturen aufzubrechen. Die Staatsbürokratie steht nach wie vor unter südafrikanischem Einfluß. Und nicht zuletzt bedrückt die junge Demokratie ein „Stasi“-Problem. Vor diesem Hintergrund legt der 90minütige Film Tag wie ein Traum (gemeint ist der Unabhängigkeitstag) ein beredtes Zeugnis über die vielschichtige, oft schmerzliche Befreiungsgeschichte Namibias ab.

Becker räumt auf mit vielen Falschmeldungen, mit auch vom westlichen Lager lancierten Verleumdungen und Irritationen über den namibischen Befreiungskampf. Er befindet sich damit nach eigenem Bekunden heute im Widerspruch zum „Weltspiegel-Journalismus“ von ARD und ZDF, der die Probleme oft einseitig verkürzt und falsch darstellt.

Bis zuletzt versuchten Südafrikas berüchtigte Todesschwadronen „Koevoet“, den Unabhängigkeitsprozeß zu torpedieren, der mit der Zustimmung Pretorias zur UN-Resolution435 — freie Wahlen und Errichtung eines selbständigen Staates — unumkehrbar schien. Erschütternd die Bilder von noch im April 1989 hingemetzelten Namibiern, die ihr erstes Picknick auf befreitem Heimatboden machen wollten: das letzte Glied in einer jahrelangen Kette des Terrors Südafrikas, dem vor allem Kinder und Frauen zum Opfer fielen. Abermals sprach Pretoria von einer gebotenen Abwehr eines bewaffneten Einfalls der Swapo in Namibia.

Der namibische Kirchenrat deckte die Vorkommnisse auf. Doch große Teile der westlichen Presse und Politik wollten lieber Südafrika Glauben schenken. Denn im Wahlkampf um das erste freie Parlament Namibias ging es auch um westliche Interessen. Das Land ist reich an wertvollen und seltenen Bodenschätzen. Westorientierung einer zukünftigen Politik lautete deshalb das Stichwort.

So wurden nicht nur hier Opfer zu Tätern gemacht. Auch innerhalb der Swapo gab es Machtkämpfe. Eine wichtige Charge in diesem „Spiel“ war und ist Hauwala, von seinen Opfern „Metzger von Lubango“ genannt; ob er ein „Maulwurf“ der Südafrikaner ist, läßt der Film offen. Er ließ ausgesuchte „Geständnisse“ von Leuten aus den eigenen Reihen erfoltern: eine Hexenjagd auf angebliche „Spione“ und „Dissidenten“. Auch etliche enge Familienangehörige des Guerilla-Führers und heutigen Staatspräsidenten Sam Nujoma, darunter seine Ehefrau — als die UNO ins Land kam — wurden verhaftet und zu Denunziationen gezwungen. Neben Nujoma wollte man besonders Swapo-Leute verleumden, die mit den Kirchen zusammengearbeitet hatten.

Südafrika wußte diese Vorgänge auszunutzen. Nujoma wurde in der Weltpresse als Mitwisser und heimlicher Auftraggeber hingestellt; ebenso wurden die namibischen Kirchen der Kenntnis und Duldung dieser Terroraktionen bezichtigt. Bezeichnende Pointe: Hauwala genießt heute Amnestie und ist Militär-Chef der neuen namibischen Armee. Ebenso sitzen Ex-„Koevoet“-Kommandeure an Schlüsselstellen der neuen Macht und sind für die Sicherheit im Staat zuständig.

Trotz dieser Sachverhalte findet Beckers Film einen hoffnungsvollen Ausblick. Er befragt Namibier, die Zuversicht, Selbstbewußtsein ausstrahlen und Forderungen an die Zukunft stellen. Unter ihnen Pastor Erastus Tshilongo, der 99jährige geistige Mentor von Sam Nujoma.

Die deutschen Kirchen haben bis heute den Darstellungen von ARD und ZDF, die wiederholt der südafrikanischen Propaganda aufgesessen sind, nicht widersprochen. Und auch die EKiR ist anscheinend weiterhin an einer Richtigstellung der Fakten nicht interessiert. Man hat das Recht zur Verbreitung des Films erworben, und das zu seiner Unterdrückung. Helmut Schulzeck