piwik no script img

Euro-Armee noch nicht in Sicht

In Maastricht wird es einen Beschluß zu einer gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik kaum geben/ Unumstritten ist aber die Perspektive gemeinsamer Verbände innerhalb der WEU  ■ Von Andreas Zumach

„Keine großen Fortschritte in der Außen- und Sicherheitspolitik, vielleicht einige zusätzliche Kompetenzen innerhalb einer verbesserten Struktur.“ So skeptisch und zurückhaltend beschrieb der für diesen Themenbereich zuständige EG-Kommissar, der Niederländer Frans Andriessen, vor knapp drei Wochen seine Erwartungen an den Maastrichter Gipfel. Heute, zwei Tage vor Gipfelbeginn, steht fest, daß selbst diese Äußerungen noch zu optimistisch waren. Bei der „Konklave“, in die sich die zwölf EG-Außenminister am Montag in Brüssel begeben hatten, um sich endlich auf das Kapitel „Außen- und Sicherheitspolitik“ im Vertrag über eine Europäische Politische Union zu einigen, stieg kein weißer Rauch auf.

Für die Probleme bei der Beschreibung und Umsetzung einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik der EG gibt es zwei zentrale Gründe: die nach wie vor bestehenden und seit der Vereinigung Deutschlands wieder stärker zu Tage tretenden Interessengegensätze zwischen den drei „Großen“ in diesem EG-Europa, Frankreich, Großbritannien und Bundesrepublik Deutschland, sowie in diesem Zusammenhang die Beziehungen dieser drei Staaten zu den USA. Und zweitens die Entwicklung in Gesamteuropa mit dem Wegfall des Warschauer Vertragssystems und dem Zerfall der Sowjetunion — eine Entwicklung, vor deren Hintergrund die Debatte um die Herausbildung einer EG-Sicherheitspolitik zunehmend anachronistisch wird.

Die Debatte blieb zunächst weitgehend allgemein und akademisch. Etwas konkreter wurde sie mit den politischen Umwälzungen in Osteuropa und der beginnenden Verringerung der US-Militärpräsenz in Westeuropa. Die Überlegungen der letzten zwei Jahre konzentrierten sich auf die Frage nach der Organisationsform einer EG-Sicherheitspolitik. Eine direkte Euro-Armee scheint einer großen Mehrheit ihrer Mitgliedsstaaten schon deshalb ungeeignet, weil dadurch die in den nächsten Jahren anstehende Aufnahme neutraler (Österreich, Schweden) und osteuropäischer Staaten (Ungarn, Polen, CSFR) erschwert werden könnte.

Aus diesem Grund wurde die von vielen längst totgesagte Westeuropäische Union (WEU) aus der Mottenkiste geholt, der inzwichen bis auf Griechenland, Dänemark und Irland alle EG-Staaten angehören. Im Prinzip besteht zwar Einigung, die WEU zum sicherheits-/militärpolitischen Arm der EG zu machen. Doch umstritten und ungeklärt sind die Aufgabenbeschreibung und Einsatzgebiet der WEU und in diesem Zusammenhang ihre Rolle im Verhältnis zur Nato. Im Hintergrund spielt die Frage der Einbindung der Deutschen erneut eine zentrale Rolle. Frankreich zielt darauf, die USA in Europa zurückzudrängen und die Deutschen als Zahlmeister einer künftigen Euro-Armee fest einzubinden. Entsprechend angelegt ist die Initiative „für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik“, mit der Mitterrand und Kohl Mitte Oktober die Öffentlichkeit und die Nato-Verbündeten überraschten. Sie sieht die Bildung eines deutsch-französichen Armeekorps mit 50.000 bis 70.000 Mann vor, das dann zu einem Europäischen Korps mit einer Größenordnung von 120.000 Soldaten und damit zu der künftigen WEU-Streitmacht ausgebaut werden soll.

Die Briten und mit ihnen vor allem die Niederländer setzen auf die Einbindung Deutschlands innerhalb der Nato und wollen die WEU als Instrument ausschließlich außerhalb des Nato-Territoriums. Damit weist die aktuelle Kontroverse eine Reihe von Paralellen zur Debatte der 50er Jahre über die Einbindung Deutschlands in der damals von Frankreich favorisierten Europäischen Verteidigungsunion (EVU) oder aber der Nato auf, für die sich die Regierung Adenauer schließlich entschied. Der entscheidende Unterschied zu den 50er Jahren: der Gegner in Osteuropa existiert nicht mehr. Deutschland ist inzwischen vereint und hat ein noch stärkeres Gewicht, als die alte Bundesrepublik ohnehin schon hatte. Was dieses für die innerwesteuropäische Debatte bedeutet, machte in schöner Deutlichkeit ein „hoher deutscher Offizier“ in der Brüsseler Nato-Zentrale Ende Oktober in einem anonymen Artikel für die 'Welt am Sonntag‘ deutlich: „Deutschland ist nicht mehr Objekt des Geschehens, sondern macht selbst das Spiel — und zwar mit europäischen Trumpfkarten. Dies ist eine neue Erfahrung, die eine frühere Imperial- und zeitweise Siegermacht (gemeint sind die Briten — d.Red.) in den letzten Wochen machen mußte.“ Auch im weiteren Verlauf seines Artikels bestätigt der deutsche Nato-Offizier die von Verteidigungsminister Stoltenberg geleugneten heftigen Kontroversen zwischen Deutschen und Briten bei der Nato-Verteidigungsminister-Tagung Mitte Oktober auf Sizilien. Zugleich bestätigt der Offizier Sorgen, die die von ihm als „gelungener Coup“ des Kanzlers bezeichnete deutsch-französische Initiative auch in einer Reihe kleinerer EG-Staaten ausgelöst hat: „Das künftige Europäische Korps mit seinem deutsch-französischen Kern relativiert den britischen Einfluß in der europäischen Sicherheitspolitik. Da Großbritannien mit seinem inzwischen kleinsten Heer seit 1837 nicht mehr über genügend Streitkräfte verfügt [...] bleibt das Europäische Korps wohl vornehmlich ein deutsch-französisch bestimmter Verband.“

Angesichts dieser Gemengelage ist eine Einigung in Maastricht höchst unwahrscheinlich. Das sollte allerdings nicht die Tatsache vergessen machen, daß die wichtigsten Mitgliedsstaaten der EG längst dabei sind, ihre Streitkräfte im Sinne von mehr Flexibilität für Out-of-aerea- Einsätze zu verändern. Auf Beschluß der Nato im Mai geschieht dies auch in Koordination miteinander — wenn auch noch unter dem Dach der Nato. Doch einmal geschaffene militärische Instrumente lassen sich eines Tages auch in einem WEU/EG-Rahmen einsetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen