Ein Tiefstapler aus Norddeutschland

■ Der Schauspieler Otto Sander ist privat ein eher zurückhaltender Mensch/ Von Selbstdarstellung hält er nichts/ Sander: »Bin ein Mann zum Anfassen«/ Seine Vorliebe gilt den komischen Rollen

Berlin. »Seine Schultern hängen. Sein Mäntelchen sitzt knapp. Rote Mähne, Lippenbärtchen, wasserblaue Augen — eine Kreuzberger Bohéme-Gestalt, die aus dem Hippie-Keller emporgestiegen ist« — so beschrieb die 'Berliner Morgenpost‘ Otto Sander 1969, bemerkte jedoch hellsichtig, daß »die Helden von heute die lächerlichen Figuren sind. Otto Sander gehört zu den jungen Komikern, die nicht mehr von Charakterrollen bloß träumen.«

Unwirsch wehrt Otto Sander den Ausflug in die Vergangenheit ab und setzt einen Tee auf. »Sonst steht, glaube ich, noch drin, daß ich gerne Käsekuchen esse.«

Damals hatte Sander bereits Engagements in Düsseldorf und Heidelberg sowie neun Semester Theaterwissenschaften hinter sich. Schauspielunterricht hatte er eigentlich nur genommen, »um mal zu sehen, was die so lernen müssen, damit man ihnen es später als Regisseur besser erklären kann«. Sander blieb bei der Schauspielerei, der Rest ist Theatergeschichte. Der »dürre Spaßvogel« stieg aus dem »Hippie-Keller« zu höheren Theaterweihen empor — zehn Jahre Schaubühne folgten. Es regnete Auszeichnungen wie den Kritikerpreis als bester Darsteller des Jahres 1979, den Sander für seine Rolle in Wilsons Death, Destruction, Detroit erhielt, ein Stück, das Kritiker als »Otto-Sander-Show« bezeichneten. Dazu kommen ein Lubitschpreis und »gleich zwei Chaplinschuhe«, wie Otto Sander lakonisch anmerkt. Ohnehin neigt er dazu, seinen Erfolg zu ironisieren: »Da gab es mal einen richtigen Preisboom«, meint er schulterzuckend. »Irgendwann ist man halt dran. Ist ja auch ganz schön, man fühlt sich geehrt. Ich kann Ihnen da auch eine Liste geben. Da sparen Sie sich viel Arbeit.«

Otto Sander macht es einem nicht leicht. Er ist nicht der Mensch, aus dem die Selbsterkenntnisse so sprudeln, und schafft durch seinen trockenen Humor eine Distanz, die alles relativiert. Beinahe hat man das Gefühl, es sei ihm unangenehm, nicht über die Arbeit, sondern seine Person zu sprechen, und auch später, beim Fotografieren, wird er unruhig und ist immer in Bewegung. Schließlich geht es nicht um eine Rolle, sondern um ihn. Er sei eben kein Selbstdarsteller, meint er, und habe ein eher nüchternes norddeutsches Naturell: »Schließlich bin ich nicht nur aus Eitelkeit Schauspieler geworden. Es ist für mich die einzige Möglichkeit, mich auszudrücken. Das beinhaltet natürlich den Wunsch, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen.«

Seine Popularität weit über Theaterkreise hinaus erklärt er sich so: »Ich bin ein Mensch zum Anfassen und verberge mich nicht hinter einem Kunstschleier. Mit mir kann man über alles, was ich mache, reden, wie man auch mit einem Bäcker reden kann. Schauspielerei ist ein Handwerk, das gemacht werden muß, vor allem, wenn man es beobachtbar macht. Ein kleines Geheimnis muß bleiben, aber es muß beobachtbar sein.« Ein Faible hat Sander für komische, absurde Rollen: »Komiker, das war mal mein Hobby, aber damit bin ich nie groß rausgekommen«, erzählt er, womit er wieder mal tiefstapelt. Schließlich gab es da nicht nur die Filme Der Mann im Pyjama und Auf Wiedersehen, Herr Doktor, sondern auch diverse Theaterinszenierungen, in denen er in komischen Rollen brillierte.

»Komiker zu sein ist etwas Tiefernstes, Trauriges. Humor kommt aus der Trauer. Wenn man die Dinge ernst nimmt und genau beobachtet, kann man entweder eine Komödie oder eine Tragödie daraus machen. Man muß bei Komödien sehr genau sein und viel von sich hergeben. Um eine Pointe richtig abschießen zu können, muß man genau hinsehen, wie Menschen sich benehmen. Außerdem darf man in Komödien Dinge tun, die im realen Leben verboten sind.« Er berichtet von seiner Korrespondenz mit der Polizei wegen eines unberechtigten Strafmandats, was sich aus seinem Munde anhört wie der Auftakt zu einer Realkomödie. Tja, auch das Leben hat manchmal die Züge einer Farce.

Eigentlich würde er gern mehr provozieren, mehr bewegen: »Man darf ja heutzutage alles sagen«, sinniert er über die aktuelle Wirkung von Theater und Kabarett. »Wenn man sagt, ‘Kohl ist ein Arschloch‚, lockt das niemandem hinter dem Ofen hervor, und man kann tausend Flugblätter gegen Ausländerfeindlichkeit verteilen, und nichts passiert. Es ist alles so abgesichert und unmutig. Vielleicht muß man einfach tiefer reingehen in die Menschen.«

Aber wie? Er macht eine Pause, als würde er darüber nachdenken, und erzählt, daß für das nächste Jahr eine Fortsetzung von Wenders Himmel über Berlin geplant ist, die zum Teil aus begleitendem Filmmaterial besteht, das Wenders während der Dreharbeiten zu seinem jüngsten Film Bis ans Ende der Welt aufgenommen hat: »Wir brauchen noch eine Rahmenhandlung. Es könnte so aussehen, daß auch der andere Engel auf die Erde kommt. Die russischen Szenen z.B. wurden in Lissabon gedreht. Auf der einen Seite hatte man die Schauspieler, und wenn man die Kamera herumdrehte, sah man die Portugiesen. In Paris war es nicht anders. Zwei Straßen weiter wurde Homo Faber gedreht, und wir hatten wieder eine neue Kulisse. Es ist das Wort ‘Engel‚, das auf die Leute wirkt. Die haben alle mitgemacht und es geglaubt. Ich bin durch die Straßen gelaufen, in die U-Bahn gegangen und habe gesagt, ich bin ein Engel.« Martin Schacht

Am 15.12. um 16 Uhr liest Otto Sander die Rolle des Erzählers in Peter und der Wolf am Theater des Westens.