Der negative Typus und der Pop

■ Heavy Metal, Faschismus und das Böse schlechthin

Es gibt kein anderes Genre innerhalb der angloamerikanisch geprägten Popmusik, das in den letzten Jahren so oft die Hüter der öffentlichen Moral auf den Plan gerufen hat wie Heavy Metal. In den USA sorgen Gruppen wie das »Parents Music Resource Center«, eine Vereinigung besorgter Mütter aus Washington, dafür, daß die neue »Tin Machine«-LP, die Band von David Bowie, nicht unzensiert in den Handel kommt. Grund ein — gekennzeichneter — nackter Mann auf dem Cover. Im Falle des obskuren Prozesses gegen »Judas Priest« wurde der Band vorgeworden, gewisse subliminale Botschaften in ihre Stücke geschmuggelt und damit zwei verwirrte Jugendliche dazu angestiftet zu haben, die väterliche Schrotflinte gegen das eigene Haupt zu richten: Der Erfindungsreichtum selbsternannter Moralapostel ist bemerkenswert, geht es darum, Heavy- Metal-Bands einen Strick zu drehen.

Auch in diesem Lande tun sich seltsame Allianzen zur Bekämpfung des Metal-Virus auf. Da gab es eine Report-Sendung aus München vom August des letzten Jahres, die anhand geschickter Zusammenschnitte aus diversen Metal-Videoclips nachzuweisen sucht, daß diese Sparte Rockmusik nicht nur als gewaltverherrlichend, obszön und sexistisch, sondern auch als blasphemisch einzustufen sei. Ein CSU-Abgeordneter verlangte nach Absetzung eines Alice- Cooper-Konzertes wegen Satanismus, eine Kollegin der Grünen im Saarland sah wegen eines geplanten Gigs der einschlägig bekannten Death-Metal-Combo »Slayer« die Gefahr der Volksverhetzung gegeben.

Neu ist allerdings, daß auch die Autonomen dieser Liga beigetreten sind. Anlaß war die Ankündigung eines Konzertes der New Yorker Band »Type 0 Negative« am vergangenen Montag. Der geht, nicht zu Unrecht, der Ruf voraus, in ihren Texten rechtslastigen Thesen das Wort zu reden. In der Tat ist Sänger und Texter Pete Steele der Meinung, daß Leute, die Sozialhilfe beziehen und nebenbei mit Crack dealen, »Sozialparasiten« seien und dahin zurückgeschickt gehörten, wo sie herkämen. Überhaupt ist er der Ansicht, daß die Welt ein reichlich verkommener Ort sei, man niemandem vertrauen könne, Selbstmord eine respektable Angelegenheit sei und so weiter. Genug, um so einen nicht zu mögen. Genug auch für engagierte öffentliche Linke. Nicht genug allerdings, um ihn als Propagandisten des Naziterrors hinzustellen. Und nicht nur ihn. Auch dem Veranstalter des Ecstasy wurde eine eindeutige Warnung zugesandt: »Wir hoffen, daß ihr den Auftritt absagt... wenn Ihr wollt, daß Euer Club am 9.12. und darüber hinaus unbeschädigt bleibt«. Dann klirrten, sozusagen präventiv, eine Woche vor der Veranstaltung gleich mal die Scheiben. Das Ecstasy, dem mehr an Musikdarbietungen als an der Anzettelung von Massenschlägereien liegt, sagte das Konzert daraufhin ab und rief statt dessen zu einer Pressekonferenz an besagtem Tag. Pete Steele erklärte dabei, daß er a) weder ein Faschist, noch ein Rassist und erst recht kein Sexist sei, b) er in den inkriminierten Texten keine Volksgruppen beleidigen wollte, sondern Leute, die auf Kosten anderer leben, c) daß es kompletter Unsinn sei, daß er in Konzerten in Amerika mit »Sieg Heil« begrüßt werde. Darüber hinaus gefiel es ihm auch nicht, daß Guns ‘n' Roses Farbige beleidigen. Er selber stehe auf Black Sabbath, The Cult, Coil, und alles, was Krach macht.

Die autonomen Antifagruppen waren nicht anwesend. Es steht aber zu vermuten, daß der etwa gleichzeitig stattfindende Stinkbombenanschlag auf das Ecstasy nicht von herumtollenden Schulkindern verübt wurde, ebensowenig wie der abendliche kleine Überfall, bei dem erneut einige Scheiben zu Bruch gingen, einem Mitarbeiter des Clubs Tränengas ins Gesicht gespritzt sowie eine Rauchbombe geworfen wurde.

Apropos: Die Fans, die zu dieser Zeit versammelt waren, sahen übrigens alle nicht aus wie typische Faschos. Und die »autonomen Anti- Fans« warfen weiter, mit dem Ergebnis, daß sie von der Polizei die Potsdamer Straße heruntergejagt und verprügelt wurden. Fazit: Die Autonomen hatten ihren Willen, das Konzert wurde abgesagt. Warum muß dann der Unfug noch weitergehen? Noch dazu, wo doch die Medienwirkungsforschung eins sicher weiß: daß nämlich kaum jemand die Texte von Pop- und Rocksongs versteht. [Warum muß man sich nun dümmer stellen, als man ist? d. säzzer] Zensoren gibt es so schon genug. Michael Betz