CAFE-SATZ

■ Immerfein ist Nimmerfein

Das Café-Satz-Rezept: In einem Café jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier?

Die Einrichtung ist „Old English“, die Hauptstelle der Sparkasse gleich nebenan, und manche der Gäste wären gern Banker. Die Dame mit braunem Teint, einem Pelzmantel neben sich und Tüten zu ihren Füßen, entspannt sich vom Weihnachtseinkaufsbummel: „Hier kann man reingehen, wenn einem die Füße wehtun, seine Tüten hinschmeißen und unterm Tisch die Schuhe ausziehen. Und angemacht wird man auch nicht.“

Sie arbeitet im sozialen Bereich, mag ihren Job und die Leute, mit denen sie zusammenarbeitet, „weil sie engagiert sind und nicht nur die Blätter von rechts nach links umschichten oder nur Gelder verteilen“.

Apropos, was kostet so ein Pelzmantel? „Die kriegt man von 6- bis 30.000 Mark.“ Also ist sie reich? „Nein, ich habe nicht mal ein Auto. Ich hab' mir nur einen Jungmädchentraum verwirklicht: Wenn ich früher die Leute angeguckt habe, die einen Pelz trugen, dann hab' ich nicht gedacht, sieht die Frau toll aus. Sondern ich hätte gerne mal drangefaßt. Irgendwann nach 20 Jahren war's soweit. Ich hab' mir diesen Mantel gekauft, hab' mich darin ganz klein gemacht. Dann stellte ich fest — und das war ein Schrecken: Du hast ja gar keinen Traum mehr!“

Warum Pelz? „Viele Leute ziehen ja einen Pelz an und glauben in dem Moment, sie wären was Besonderes. Ich zieh' ein Gefühl an. Kleidung ist für mich Gefühl. An manchen Tagen stehst du morgens auf und weißt nicht, ob du Fisch oder Fleisch bist. Dann gehst du an deinen Kleiderschrank, und dann muß da ein Teil drin sein, was du auf Verdacht anziehen kannst, egal wie du dich um zehn Uhr fühlst. Wo du einfach drin zu Hause bist. Wenn ich so einen lauwarmen Morgen habe und nicht weiß, wer ich bin, greife ich immer zu was Schwarzem. In Schwarz kannst du strahlen und blöde Sprüche klopfen. Du kannst aber auch genausogut aussehen wie eine Trauerweide, wenn dir danach ist. Wenn du aber in Knallrot kommst und läßt das Gesicht runterhängen, das geht nicht.“

Sie kauft selten Kleidung. Und wenn, dann nur gute Qualität günstig im Ausverkauf. Lieber näht sie selbst: „Wenn ich mir was ausdenke und mache mir einen schönen Schnitt und habe einen schönen Stoff, die Entscheidung ob das mein Teil wird, die fällt erst in dem Moment, wo ich's eine Stunde anhabe. Das kann noch so schön sein, das kann eine Schweinearbeit gewesen sein, wenn ich nach einer Stunde nicht aufhöre, hier zu zerren, da zu zerren, dann ziehe ich das Ding aus: ist nicht meins.“

Ihre Lieblingsstoffe haben was von Pelz: „Die sind weich, ja. Es sei denn im Sommer, da kann man ja keine Wolle anziehen. Im Sommer trage ich am liebsten glatte Stoffe, die so fließen, als wenn sie naß wären. Und Angorapullover liebe ich. Obwohl ich mir dauernd Flusen aus den Wimpern zupfen muß.“

„Meine Mutter trug einen schwarzen Persianer. Keinen klassischen, sondern einen taillierten mit einem Glockenrock, der aus zwölf Bahnen bestand. Sie war überhaupt eine sehr elegante, gut gekleidete Frau, auch während des Krieges. Sie nahm einfach ein Teil auseinander und verarbeitete die linke Seite.“

„Ich war acht, da starb meine Mutter. Mein Vater starb auch, elf Monate später. Ich kam zu meinem Onkel. Das waren gutsituierte Leute. Mein Vater hatte die Kinder gut abgesichert, und ich kriegte eine Vollwaisenrente. Das wußte ich aber nicht. Es hieß immer: Es ist kein Geld da.“

„Irgendwann waren meine Sachen zu klein und verschlissen. Ich habe drei Cousinen, die alle kurz hintereinander waren. Die Kleider wurden dreimal geändert, bis auch die letzte von denen nicht mehr reinpaßte. Dann bekam ich die Sachen. Weil ich ja nur das Waisenkind war. Das wurde auch jedem gesagt: ,Was wir alles für die Kleine tun.‘ Und ich hab' dagestanden und mich geschämt. Meine Cousins und Cousinen durften zum Gymnasium. Ich nicht.“

„Zur Schulentlassung mit 15 bin ich in einer schlimmen Klamotte gegangen: ein Cocktailkleid, hellblauer Organza, wo ich fast aus dem Ausschnitt rausfiel. In der Taille dreimal umgekrempelt und hochgebunden mit einem Gummiband. Damit man das nicht sah, eine Strickjacke drüber. Dazu karierte Strümpfe und Schnürschuhe. Meine Mitschülerinnen kamen in kleinen Kostümchen, Faltenrock, Perlonstrümpfe, mit den ersten kleinen Absätzen. Ich sah aus wie jemand vom grünen Planeten. Da habe ich gedacht: Das macht ihr nie wieder mit mir.“

Schon mit 13 hatte sie angefangen, sich mit Nadel und Faden selbst zu helfen: „Meine Patentante wollte mal großzügig sein und gab mir einen grauen Flanellrock mit einem Oberteil hinten und vorne wie eine Schürze gebunden. Ich kam damit in die Schule und alles lachte: ,Haste ein Kinderschürzchen an?‘ Zu Hause habe ich das Oberteil abgeschnitten. Außerdem waren große Taschen modern. Alle hatten die oben auf ihren Röcken. So, habe ich mir gesagt, jetzt tust du noch einen drauf und nähst dir welche unten hin. In einer von den Taschen trug ich immer ein kleines, bunten Nickituch mit witzigen Figuren.“

Nach dem Cocktailschrecken näht sie sich ihr erstes komplettes Kleid. „Der Stoff war in Streifen: schwarz, lila, petrol, türkis. Daraus hab' ich einen Kellerfaltenrock genäht. Das Schwarze immer oben, das Bunte immer untendrunter. Wenn ich stand, sahst du fast nur Schwarz. Wenn ich ging, kamen die bunten Streifen hervor. Alles von Hand genäht. Zwei Wochen lang.“

Die Zieheltern sagen zu der selbstgebauten Mode nichts. „Denen war ich so egal wie ein Schrank oder ein Stuhl. Meine Oma, die Mutter meines Vaters, hat öfter gesagt: ,Immerfein ist nimmerfein.‘ Da gab's noch Sonntags- und Wochentagskleidung. Da ich sowieso so gut wie nichts hatte, habe ich das, was mir gefiel, immer angezogen, gewaschen und angezogen.“

„Da gäb's noch eine schlimme Geschichte zu erzählen. Als kleines Mädchen, als meine Eltern noch lebten, durfte ich in eine Ballettschule gehen. Ich war immer so ein kleiner Quirl und hatte auch viel Freude daran. Die Ballettlehrerin mochte mich auch. Das war in einem Saal hinter einer Kneipe, weil es nach dem Krieg Ballettschulen in der Form noch nicht wieder gab. Dann ist meine Mutter gestorben, mein Vater gestorben, und dann wurden die Schuhe zu klein. Aber ich bin immer tapfer weiter zum Unterricht gegangen. Hab' mit die Fußnägel kürzer geschnitten und noch kürzer geschnitten. Irgendwann kannst du nicht vermeiden, daß die Nägel in den Zeh gehen, und dann blutet es. Die Balettschuhe sind ja aus Stoff. Und irgendwann war's dann sichtbar. Da hat die Ballettlehrerin zu mir gesagt: „Kleine, wenn du keine neuen Schuhe kriegst, kann ich dich nicht mehr tanzen lassen.“ Die Schuhe kosteten 45 Mark. Das war für meine Verwandten nicht viel Geld. Ich habe sie alle gefragt. Die haben nicht mal erwägt, zusammenzulegen. Das wären für jeden vielleicht fünf Mark gewesen.“

IMMERFEINISTNIMMERFEIN