Au Bar, oh Kennedy, ach Amerika!

Palm Beach (taz) — Das Geschäft geht glänzend. Die weißen T-Shirts mit der Aufschrift „Au Bar. Oh Kennedy“ finden vor dem County Court von Palm Beach reißenden Absatz. Touristen, Schaulustige und Gerichtssaal-Junkies haben sich an diesem Morgen vor dem Landgericht im Süden Floridas versammelt, um dem Spektakel von Amerikas jüngstem Sensationsprozeß beizuwohnen.

Die einen stehen schon seit 4.15 Uhr in der Frühe Schlange, um in dem engen Gerichtssaal Nr. 411 einen der 16 Sitzplätze zu ergattern. Die anderen wollen nur einen kurzen Blick auf die Akteure des Justizdramas erhaschen: den Angeklagten William Kennedy Smith, der in der letzten Karfreitagnacht auf dem Rasen des Kennedy-Anwesens in Palm Beach eine 29jährige Frau vergewaltigt haben soll. Die „Jupiter-Frau“, die (fast) anonyme Klägerin aus dem benachbarten Ort gleichen Namens, die den Angeklagten in dem Edelschuppen der „Au Bar“ zu später Stunde einfach so ansprach. Roy Black, den aalglatten Verteidiger des Angeklagten, der für seine Dienstleistung eine Viertel Million Dollar einstecken wird. Sowie Moira Lasch, die unterkühlte Staatsanwältin mit ihrer selbst im heißesten Kreuzverhör noch monotonen Stimme.

Wäre da nicht der magische Mittelname des Angeklagten, der ihn als Mitglied von Amerikas Ersatz-Monarchie ausweist, der Vergewaltigungsprozeß wäre nicht einmal im Lokalteil der 'Palm Beach Post‘ gelandet. Doch wenn „America's First Dysfunctional Family“ ('Newsweek‘) in einer Story auftritt, die dazu auch noch Barbesuche, Sex und Gewalt verspricht, dann zeigt sich die hiesige Mediengesellschaft wieder einmal von ihrer übelsten Seite. „Die Liebesaffäre Amerikas mit den Kennedys“, so Dominic Dunne vom Hochglanz-Magazin 'Vanity Fair‘, „geht ihrem Ende zu. Jeder will sie fallen sehen.“

Seit Wochen schwirren deswegen mehrere hundert Journalisten auf Indiziensuche durch dieses Sündenbabel der Superreichen, den Tummelplatz für Machos und Bimbos. Da brechen Fotoreporter in das Kennedy-Anwesen ein, picken die Schmutzfinken der Boulevardpresse im früheren Leben der Klägerin herum. Seit gut einer Woche sitzen sie tagsüber alle wie gebannt im Presseraum, um — wie der Rest der Nation — die Gerichtsverhandlung am Bildschirm zu verfolgen. Gehört doch das konservative Florida zu den US-Bundesstaaten, die dem Fortschritt in Form von TV-Kameras den Eintritt in den Gerichtssaal erlaubt haben.

Auf ihren Monitoren wird die Presse dann Zeuge, wie im Gerichtssaal die Körperflüssigkeitsexpertin der Anklage über die Mischung aus Sperma und Sand im Slip des angeblichen Opfers referiert; wie Verteidiger Roy Black den Reizbüstenhalter der Jupiter-Frau von der Jury befingern läßt, um seine These vom einverständlichen „Liebesakt“ zu erhärten. Trotz des Vormarsches der Frauen im amerikanischen Fernsehjournalismus herrscht im Pressezentrum eine Stimmung wie im Umkleideraum eines Foootball-Teams.

„Meine Frau trägt so was nie“, beschwert sich einer der aus London angereisten Vertreter der „Tits and Bums“-Journaille englischen Zuschnitts unter dem Gejohle seiner Kollegen.

Die Mannschaft von Current Affair, einer Art 'Bild‘-Zeitung für den Bildschirm, bereitet sich unterdessen auf die tägliche Befragung ihrer TV-Jury vor, die wie die echten Geschworenen in einem Hotel gehalten wird. Nur ein Juror stimmt heute für die Verurteilung von William Kennedy Smith, alle anderen für Freispruch. Wie viele der täglich über 23 Millionen Zuschauer von Current Affair hier allerdings noch die Fakten von der Fiktion, das reale Justizdrama von den sonst um diese Sendezeit laufenden Seifenopern unterscheiden können, bleibt offen.

Bei dieser Boulevardisierung des Fernsehens können auch die großen „Networks“ nicht mehr zurückstehen. Stündlich springen die TV-Reporterinnen in ihren postfeministischen Kostümen — kurzer Rock und breitschultrige Jacke — vor die Kameras, um den neuesten Klatsch über die Kleidung der Klägerin zu verbreiten. Gefragt, ob sie denn als Frau das brutale öffentliche Kreuzverhör des Vergewaltigungsopfers nicht besonders erniedrigend finden, schütteln sie erstaunt ihre telegenen Köpfe. Daß durch diese widerliche, weil öffentliche Anatomie einer Vergewaltigung, in Zukunft viele Frauen von Erhebung einer Anklage abgehalten werden, wollen sie ebensowenig zugeben.

Denn Vergewaltigung ist gut für die Einschaltquoten. Besonders für den neuen 24stündigen Kabelkanal „Court TV“, der sich mit diesem Prozeß bereits in der amerikanischen Fernsehlandschaft etabliert haben dürfte. Statt der augenblicklich 5,3 Millionen Zuschauer will Direktor Stephen Brill seine tägliche Dosis von Gewalt im Gericht bis 1995 rund 30 Millionen Kabelkunden anbieten. Für ihn ist „Court TV“ schlicht eine öffentliche Dienstleistung mit erzieherischen Wert.

Aber auch der weltweit zu empfangende Kabelkanal CNN profitiert von dem Kennedy-Prozeß. Als die Jupiter-Frau in den Zeugenstand tritt, verneunfacht sich die Zahl der sonst um diese Zeit zuschauenden CNN-Kunden auf 3,2 Millionen.

Das Gerichtssaal-Drama ist dabei das ideale Vehikel zur Umgehung des amerikanischen (TV)-Puritanismus. Während sonst weder blanke Busen noch Kondom-Commercials auf dem sauberen Bildschirm erscheinen dürfen, legitimieren hier das Faktische und das Gewalttätige die öffentliche Vorführung von Masturbation, Ejakulation und anderen feuchten Phantasien.

„Die Kennedys kommen doch nur nach Palm Beach, um hier herumzuvögeln und zu sterben“, erklärt Jack Cole vom Lokalradio WJNO die Schadenfreude über die jüngste Katastrophe für den hier so verhaßten Kennedy-Clan. „Und jetzt haben wir sie halt mit heruntergelassenen Hosen erwischt.“ Wer allerdings davon ausgeht, daß die Öffentlichkeit deswegen den Aussagen der Jupiter- Frau mehr Glauben schenkt, sieht sich getäuscht. Bei einer Art täglich zusammengerufenem Volksgerichtshof der Radiohörer glaubt immer eine solide Mehrheit, daß das angebliche Vergewaltigungsopfer lügt. „Steckt sie doch einfach beide in den Knast“, so der praktische Vorschlag eines Anrufers.

Nach getaner Schmutzarbeit treffen sich die Informationskünstler der Medien abends an der Theke des palmenumstandenen „Brazilian Court Hotels“, inmitten der Luxusvillen und Edelapartments von Palm Beach. Malcolm von der 'New York Post‘, der die Story als erster entdeckt hat, und Steve, dessen TV- Show einer Zeugin der Anklage 40.000 Dollar für ihre Mitarbeit bei einer Nachstellung der Vergewaltigungsszene bezahlt hat. Auch der Ex-Freund der Jupiter-Frau lungert in der Bar herum, um seine Erfahrungen mit den prämenstruellen Depressionen und Phantasien des angeblichen Opfers meistbietend zu versteigern.

Skrupel hat hier keiner, ebensowenig Zweifel an dem Sinn der Zulassung von Fernsehkameras in den Gerichtssaal. „Ekelhaft finden Sie das Spektakel?“, fragt der Mann von 'Vanity Fair‘ beinahe mitleidig. „Diesen Punkt haben wir in Amerika schon lange überwunden.“

Am Ende ziehen sich in ihrer Arbeit alle auf das „right to know“, das demokratische Recht auf Öffentlichkeit, zurück. Längst hat dieses totale Recht, alles zu wissen, hierzulande den Schutz der Privatsphäre durchbrochen, hat in der Demokratie Thomas Jeffersons der Voyeur über den Citoyen gesiegt. Wenn der Fernsehprozeß am Mittwoch mit den Schlußargumenten von Staatsanwalt und Verteidigung zu Ende gegangen ist, werden mehr US-Bürger die Reizwäschen-Marke eines Vergewaltigungsopfers in Südflorida kennen als die Namen der demokratischen Präsidentschaftsbewerber.

Jack Cole, der Radiomoderator, jedenfalls ist sich ganz sicher: „Die Leute genießen das doch, und diejenigen, die es nicht genießen, genießen, daß sie es nicht genießen.“ Rolf Paasch