Deutsche Linke, deine Treue!

■ „Bruderbande“ in der shakespeare company uraufgeführt / Stück und Regie: Rainer Iwersen

Nachttöpfe und lange Unterhosen: der Deutsche, wie er istF.:M.Menke

Betrachtet man es als Theaterstück, ist man schnell fertig. Bruderbande ist ein dreistündiges Endlos-Raisonnement von Autor (und Regisseur) Rainer Iwersen, aufklärerisch in der Absicht, geifernd im Gestus, gnadenlos verurteilend, was dem Auge vor die Flinte kommt: Das sind alle an der Vereinigung beteiligten Deutschen in Ost (von Politbüro bis Wirtschaftsflüchtling und „ein Volk“) und West (von Kanzleramt bis Stammtisch). Formal ist es ein Nummernkabarett in Spielszenen, verteilt auf vier Männerrollen, dargestellt von vier hervorragenden Schauspielern. Erik Roßbander, Renato Grünig, Christian Kaiser, Thomas Sarbander sei Dank! Ohne ih

ren präzisen Witz wären die drei Stunden Bescheid wissenden Geredes nicht zu ertragen gewesen. Mehr kann niemand.

Betrachtet man es seinem politischen Gehalt nach, müßte man Bände füllen. Müßte beschreiben, mit welchen Reaktionsbildungen die Linke, in Bremen die grün-rote Szene, die Tatsache verarbeitet, daß mit dem Fall der sichtbegrenzenden Mauer Kaiser Sozialismus schlagartig nackt war. Davor hatte ihn bis dato besonders die phantastische Kleiderschneiderei der 68er Linken- Generation bewahrt, die jetzt in SPD und Redaktionstuben die bestimmende ist.

Bruderbande bewältigt die ungewollte Einheit West in der Tradition des linken Negativ-Nationalismus: Deutschsein heißt Judenmorden, und Juden sind außer Ausländern auch alle von Menschlichkeit angewandelten Inländer. „Solange noch einer lebt, kann Deutschland nicht frei sein“ läßt Iwersens den Einheitskanzler West von den Juden sagen. Mit diesem deutschen Volkscharakter als Passepartout läßt sich wunderbarerweise die ganze Welt erklären, von Deutschland aus. Die erste Szene — eine der stärksten — mobilisiert unseren geballten physischen Ekel gegen vier alte Männer. Auf vier Betten wesen sie schmierigst herum, voll deutschem Hinterfotz, deutscher Sentimentalität, deutschem Soldatenwitz und deutschem Ausländerhaß, zwischen Nachttöpfen, Hosenträgern und langen Unterhosen ihrem analen Zwangscharakter nachgehend: der Säuberung. Kohl und Honecker und noch zwei ehemalige deutsche Regierende im Altersheim vereint. Licht aus, Messer raus, so ist der Deutsche. Die vier murksen im Dunkeln den ab, der im fünften Bett liegt, er ist fremd, und es ist ohnehin „kein Lebensraum“. Der hängt dann in einem KZ-gestreiften Pyjama die Vorstellung über am Kleiderhaken. Danach wird ein deutsches Volkslied gesungen, traurig und mehrstimmig, und am nächsten Morgen versichert einer der Mörder: „Ich habe von alldem nichts gewußt“ und „Ich habe doch genug gelitten. Ich bin auch nur ein Opfer.“

So sind sie, die Deutschen, d.h. die anderen Deutschen, Du und ich und das Publikum, das höflich klatschte, natürlich nicht. Es ist alles ganz einfach. Woran ging der DDR-Sozialismus zugrunde? An einem Politbüro, das sich angesichts der Massenflucht 89, z.T. in Blankversen, gegenseitig zum Juden und fertig macht. Warum flieht das Volk ? Weil es aus Sehnsucht nach westdeutschem Herrenmenschentum (“Champagner, Cocktails. Und dann das Auto. Mit 180 Sachen. Nach Italien. Wir langen zu und nehmen, was uns zusteht“) sogar seine Kinder im Stich läßt. Warum der Zusammbruch der DDR-Wirtschaft ? Weil die Regierung West, als sich der Zusammenbruch ihres ausgebluteten „Brückenkopfes nach Osten“ nicht verhindern läßt, dem Bruder auf deutsche Art hilft. Sie zieht ihn aus, bis nur noch der KZ-gestreifte Pyjama an ihm ist. Und zwischendurch wird immer wieder ein Jude oder Ausländer — ist Jacke wie Hose, wenn nur der Deutsche deutsch ist — zur Strecke gebracht und mit der Nationalflagge zugedeckt.

So ist er, der Deutsche, wenn er Stücke dichtet, schon immer Recht hatte und wenn seine Ehre Treue zu den wirklichen Legenden der Linken heißt. Seine Welt ist eingestürzt? Macht nichts, er hat sie noch im Kopf. Uta Stolle