Kartoffel-Kinder

■ Wissenschaftler legen neue Verzehrempfehlungen vor

Cave Diät! Sogar für Kinderohren wirkt sie abschreckend. Noch dazu provoziert sie die fatale Neigung, sich all das verbotene, klebrige Naschwerk auf nächtlichen Pirschgängen lustvoll einzuverleiben. Um Übergewicht, Stoffwechselstörungen auf den Leib zu rücken, will die Deutsche Gesellschaft für Ernährung den Kindern nun eine „Präventionsernährung“ schmackhaft machen.

Besser sollen sie es einmal haben, unsere Kinder, sich nicht herumplagen mit verkalkten Gefäßen und klapprigen Risikofaktoren, die sich, Ergebnis jahrelanger Fehlernährung, unersättlich hermachen über die Volksgesundheit, sie einschüchtern mit Infarkt, Amputation und anderen Unappetitlichkeiten. Denn gefäßverengt und übergewichtig, aufgeschwemmt und hyperton gleiten Erwachsene siech auf ihrem überhöhten Cholesterinspiegel dahin und rutschen vorzeitig ins Jenseits, nicht ohne zuvor die Solidargemeinschaft gründlich ausgeplündert zu haben. Endlich geht es wenigstens den nachwachsenden Wohlstandspummelchen an den Kragen. Gummibärchen, ade. Sauer aufstoßen soll den Kleinen alles unverdauliche Fett- und Zuckertriefende. Kleie und Schrot sollen sie essen, Wasser trinken statt kariesfördernder Limonaden, gutmachen, was Mama und Papa jahrelang mit Konserven und kalten Buffets an ihrem Fettstoffwechsel verbrochen haben: Das Brot- und Kartoffelkind kommt zurück. Nach Yuppie-Protz mit Trüffel- Terrine und Tiramisu ist das Zeitalter neuer Askese längst überfällig. Mit Möhrchen, naturbelassen auf Jute und Fünfkorn-Met, liegen sogar Ernährungswissenschaftler nun voll im Trend.

Hamburger? Igitt! Pommes — nur fettfrei und gebacken. Pizza — nein, danke. Spaghetti — ja, aber nur die italienischen aus Hartweizengrieß und ohne Cholesterin-Eier. Überhaupt lebt sich's mediterran viel gesünder. Olivenöl schwenkend und auf Basilikumstengelchen kauend werden unsere Kleinen demnächst aufgeklärt durch die Küche stapfen und ihren Eltern Vorhaltungen machen, daß sie schon wieder die ungesättigten Fettsäuren vergessen haben. Aus deutschen Landen darfs nur die Kartoffel sein. Unbegrenzt. Und natürlich Brot. Vollkorn selbstverständlich. Aber bitte ohne Belag.

Bleibt nur ein kleiner Schönheitsfehler: Erprobt wurden diese Verzehrempfehlungen leider noch nicht. Den Wissenschaftlern gelang es nämlich nicht, verzehrwillige Kinder zu finden...

Könnte es denn sein, daß wir mit diesen vernünftigen, jedoch realitätsfernen Verzehrregeln zwar den Fettstoffwechselspiegel in die Knie zwingen, dafür aber den Familienfrieden opfern? Daß cholesterinarme Kinder, idealgewichtig aber lustgewöhnt, dereinst undankbar über ihre Eltern herfallen, ob der frugalen Kost, die man ihnen in den besten Jahren zumutete? Die Eßstäbchen werden sie dann über Mama und Papa brechen, auf einen Nenner ihre Kindheit bringen: geschmacklos. Hanna Rheinz